Freispruch nach 13 Jahren und 6 Monaten Gefängnis
13 Jahre und 6 Monate verbrachte Manfred Genditzki als verurteilter, durch die Medien als „Badewannenmörder“ bekannt gewordener Häftling, unschuldig im Gefängnis. 14 Jahre nach dem angeblichen Mord kam jetzt der Freispruch. Laut Urteilsbegründung des LG München beruhte die Verurteilung wegen Mordes auf einer “Kumulation von Fehlleistungen“ der Ermittlungs- und der Justizbehörden. Bei der Inhaftierung war der Verurteilte 49, jetzt ist er 63 Jahre alt.
Lebenslange Haft wegen angeblichen Mordes an einer Seniorin
Die Geschichte: Der Hausmeister einer Senioreneinrichtung, Manfred Genditzki, wurde beschuldigt, im Oktober 2008 eine 87-jährige Seniorin ermordet zu haben, nachdem diese tot in ihrer Badewanne aufgefunden worden war. Der Beschuldigte wurde trotz schwacher Indizienlage wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach einer Beanstandung der 1. Verurteilung durch den BGH bestätigte das LG im Wiederholungsprozess das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis.
Keine Hafterleichterungen wegen fehlender Unrechtseinsicht
In der langjährigen Haft wurden dem Verurteilten wegen hartnäckigen Leugnens der Tat und damit dem Fehlen jeglicher Unrechtseinsicht die bei guter Führung üblichen Hafterleichterungen verweigert. Seine Tochter konnte er nicht aufwachsen sehen, eine Teilnahme an der Beerdigung seiner Mutter wurde dem Häftling wegen mangelnder Unrechtseinsicht nicht erlaubt.
Fehlerhafte Ermittlungen führten zur Verurteilung
Nun hat die hartnäckige Anwältin des Verurteilten mithilfe einer Computersimulation und eines neuen Gutachtens nachweisen können, dass der Todeszeitpunkt der verstorbenen Seniorin im Rahmen der damaligen Ermittlungen falsch berechnet wurde und der Verurteilte für den tatsächlichen Todeszeitpunkt der Seniorin ein wasserdichtes Alibi hat. Außerdem kam ein Gutachter zu dem Ergebnis, dass ein Tötungsdelikt infolge der Spurenlage zwar denktheoretisch möglich aber sehr unwahrscheinlich sei. Wahrscheinlich sei die Seniorin in ihrer Badewanne ausgerutscht und anschließend ertrunken.
Anspruch auf Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft
Nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) haben zu Unrecht Verurteilte einen Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Haft. Diese beträgt seit dem 1.1. 2020 pro Hafttag pauschal 75 Euro, § 7 Abs. 3 StrEG. Damit errechnet sich für die von Manfred Genditzki erlittene Haft von 4.912 Tagen ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 368.400 Euro.
Zusätzlich Anspruch auf Ersatz materieller Schäden
Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf Ersatz von Verdienstausfall sowie auf Ersatz sonstiger, nachweislich erlittener materieller Schäden, § 7 Abs. 1 StrEG. Betroffene müssen die Ansprüche anmelden und innerhalb bestimmter Fristen geltend machen, § 10 StrEG. Einen Ersatz für immaterielle Schäden wie den Schmerz über die verweigerte Teilnahme an der Beerdigung seiner Mutter und die psychischen Leiden, die dadurch entstanden sind, dass er seine Tochter nicht hat aufwachsen sehen, kennt das Gesetz nicht.
Wie ist verlorene Freiheit zu finanziell bewerten?
Angesichts des aktuellen Falls wird die Angemessenheit der gesetzlichen Regelungen zur Haftentschädigung medial diskutiert. Auf den Punkt gebracht lautet die Frage: Welchen Wert hat verlorene Freiheit?
BMJ will Strafentschädigung modernisieren
Mit dieser Frage hat sich auch Bundesjustizminister Marco Buschmann bereits beschäftigt und Ende 2022 ein Eckpunktepapier zur Neuregelung der Haftentschädigung und zur Modernisierung des StrEG vorgelegt. Dieses sieht u. a. vor:
- Ausführliche Belehrungspflichten gegenüber den Betroffenen über ihre Entschädigungsansprüche,
- Verfahrensvereinfachungen u. a. durch großzügigeren Fristen für die Antragstellung,
- unter bestimmten Voraussetzungen Entscheidungen von Amts wegen ohne Antrag,
- eine insgesamt höhere Haftpauschale sowie
- Differenzierungen bei der Haftpauschale.
Erhöhung der Haftpauschalen sowie Anspruch auf Rehabilitierung
Das Eckpunktepapier schlägt eine Staffelung der Haftpauschalen sowie diverse weitere Maßnahmen vor:
- Höhere Pauschale für zu Unrecht erlittene Strafhaft im Verhältnis zur U-Haft. Begründung: Ein unrichtiger Schuldspruch in einem gerichtlichen Urteil führe zu einer stärkeren Stigmatisierung des Gefangenen mit der Folge einer höheren psychischen Belastung.
- Berücksichtigung der Haftdauer, d.h. bei besonders langer Haft soll der Pauschalbetrag heraufgesetzt werden.
- Außerdem sollen - anders als bisher - infolge einer Inhaftierung ersparte Kosten für Unterkunft und Verpflegung auf materielle Schadensersatzansprüche nicht mehr angerechnet werden (auf die immaterielle Haftpauschale erfolgte auch bisher keine Anrechnung).
- Pfändungs- und Aufrechnungsschutz für die Haftpauschale.
- Betroffene sollen einen Anspruch auf Rehabilitierung haben in Form eines Rechts auf öffentliche Bekanntmachung bei erfolgreicher Wiederaufnahme.
Folgende Grundregeln sollen bleiben
Die grundsätzlichen Regeln zum Anspruch auf Haftentschädigung sollen auch in Zukunft gelten. Danach haben Anspruch auf Haftentschädigung Betroffene in folgenden Fällen:
- § 1 Abs. 1 StrEG gewährt demjenigen einen Anspruch auf Entschädigung, der durch strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, soweit die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder in einem sonstigen Strafverfahren entfällt oder gemildert wird.
- Gemäß § 1 Abs. 2 StrEG gilt diese Regelung entsprechend, wenn ohne Verurteilung eine Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine Nebenfolge angeordnet wurde.
- Wer durch den Vollzug von Untersuchungshaft einen Schaden erlitten hat, wird gemäß § 2 Abs. 1 StrEG ebenfalls entschädigt, falls er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
- Das Gleiche gilt gemäß § 2 Abs. 2 StrEG für eine zu Unrecht angeordnete einstweilige Unterbringung und die Unterbringung zur Beobachtung nach der StPO oder dem JGG.
Keine Entschädigung in folgenden Fällen
Das Gesetz schließt eine Entschädigung aus, wenn die beschuldigte Person die Strafverfolgungsmaßnahmen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat, § 5 Abs. 2 StrEG. Dies gilt auch für Fälle, in denen die beschuldigte Person die Strafverfolgungsmaßnahmen verursacht hat, indem sie schuldhaft einer ordnungsgemäßen Ladung vor den Richter nicht nachgekommen ist oder einer richterlichen Anweisung
gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1-3, Abs. 3 StPO (Meldeanweisungen u.ä.) zuwidergehandelt hat.
Schließlich sieht § 6 Abs. 1 StrEG eine Versagung der Entschädigung vor, wenn die beschuldigte Person sich selbst wahrheitswidrig belastet oder in Widerspruch zu späteren Erklärungen gesetzt hat, entlastende Umstände bewusst verschwiegen hat oder eine Verurteilung nur deshalb unterblieben ist, weil die Person schuldunfähig war oder ein sonstiges Verfahrenshindernis bestanden hat.
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