Der Weg zum Erfolg für eine regionale Anwaltskanzlei – Interview mit Manuel Singler
Regional präsent, digital vernetzt: Ein Interview mit Manuel Singler
Sie haben die Kanzlei von Ihrem Großvater übernommen, war das von Anfang an geplant oder hat sich der direkte Schritt in die Selbstständigkeit nach dem Studium erst allmählich entwickelt?
Nach dem Abitur war ich mir nicht sicher, welchen beruflichen Weg ich einschlagen sollte. Mein Großvater führte eine Kanzlei und da ich keine handwerkliche Begabung hatte, entschied ich mich für ein Jurastudium. Mir wurde schon früh in Aussicht gestellt, die Kanzlei zu übernehmen, was auch den Plänen meines Großvaters entsprach. Als er in den Ruhestand ging, beendete ich mein Studium und trat in seine Fußstapfen. Es war der vorgezeichnete Weg und meine eigene Inspiration, die mich dazu brachten, die Kanzlei zu übernehmen.
Jetzt, wo Sie die Kanzlei übernommen haben – Sie sind ja noch ein sehr junger Chef – wie läuft das mit den erfahreneren Mitarbeitern? Wie ist das Verhältnis? Gibt es Probleme, Reibungspunkte?
Als junger Chef, der die Kanzlei übernommen hat, gibt es natürlich eine interessante Dynamik mit den erfahrenen Mitarbeitenden, von denen einige seit der Gründung vor fast 40 Jahren dabei sind. Die langjährige Erfahrung der Mitarbeitenden kann sowohl eine Herausforderung als auch eine Bereicherung sein. Wenn ich als junger Mensch mit neuen Ideen und der Umsetzung der Digitalisierung komme, kann das zu Verwunderung und Skepsis führen. Aber wir haben eine gute Basis gefunden, um mit der Zeit zu gehen. Ich profitiere enorm von der Erfahrung der Alteingesessenen, vor allem im Büroalltag, während ich dazu mein juristisches Wissen einbringe. Ihre Unterstützung ist für mich von unschätzbarem Wert.
Man kann sagen, dass Sie sich sehr für die Digitalisierung in der Kanzlei einsetzen?
Ja, auf jeden Fall. Wir modernisieren die Arbeitsplätze und verbessern die IT-Ausstattung in der Kanzlei. Ich habe auch das Gefühl, dass die anfängliche Skepsis mittlerweile umgeschlagen ist und alle Leute sagen, das sind doch gute Ideen, die ich da einbringe und das macht Sinn.
Bemerken Sie im Büroalltag bereits Vorteile durch die von Ihnen initiierte Maßnahme – oder kennen Sie die Situation vorher, um dies beurteilen zu können?
Also ich habe noch mitbekommen, wie mit Diktiergeräten umgegangen wurde und dergleichen. Ich habe das nie gemacht. Mit meinem Einstieg wurde eine moderne Spracherkennungssoftware eingeführt. Das war für mich sehr wichtig. Zum einen muss ich den Text direkt vor mir sehen, zum anderen werden Personalressourcen frei. Und auch durch die Umstellung auf eine effiziente Kanzleiverwaltungssoftware dauern Arbeitsschritte, die früher eine Stunde gedauert haben, jetzt nur wenige Minuten, sei es das Einscannen der Post, sei es das Erstellen von „standardisierten“ Schreiben. Also ich denke, alles in allem hat es deutliche Vorteile gebracht.
Wurden die Neuerungen von allen gleich gut angenommen oder gab es Unterschiede?
Mein Großvater arbeitet immer noch auf die traditionelle Art und Weise, aufgrund seines Alters. Aber er respektiert unsere Veränderungen und mischt sich nicht ein. Ich werde ihm natürlich die Möglichkeit geben, so zu arbeiten, wie er es gewohnt ist. Es gibt aber auch andere ältere Mitarbeitende, die sich erfolgreich umgestellt haben und die neuen Möglichkeiten nutzen. Für sie ist es eine große Erleichterung.
Das klingt alles sehr vielversprechend. Sie haben eine Kanzlei übernommen, die durch ihren Standort eher regional geprägt ist. Wie wichtig ist es hier, ein gutes Netzwerk zu pflegen?
Mir war es wichtig, den Kontakt zu meinen Studien- und Referendarskollegen in meiner Region aufrechtzuerhalten und mich den örtlichen Kanzleien und erfahrenen Anwälten vorzustellen. Dies ist besonders wichtig, da es viele Berührungspunkte gibt, z.B. in zivilrechtlichen Fällen oder bei Doppelverteidigungen in Strafsachen. Ein gutes Verhältnis zur Gegenseite erleichtert es, für beide Seiten zufriedenstellende Lösungen zu finden, was letztlich meinen Mandanten zugute kommt.
Die Anwaltsdichte ist in der Region, in der Ihre Kanzlei ihren Sitz hat, eher gering. Sehen Sie das als Chance oder als Problem?
Die geringe Anwaltsdichte in unserer Region bietet sowohl Chancen als auch Vorteile. Wenn es weniger Angebote auf dem Markt gibt, ist man natürlich schneller bei der Auswahl potenzieller Mandanten. Gleichzeitig gibt es aber genügend Kanzleien in der Region, so dass der Zugang zum Recht gewährleistet ist und wir nicht überlastet sind. So können wir uns für jeden Mandanten ausreichend Zeit nehmen. Insgesamt sehe ich die derzeitige Situation eher als Chance. Die Menschen haben die Wahl und können sich bei Bedarf nach anderen Möglichkeiten umsehen. Darüber hinaus hat eine langjährige Präsenz in einer regionalen Umgebung einen nachhaltigen Effekt auf unseren Ruf, da Empfehlungen und Reputation sich dort stärker verbreiten als in hektischen Großstädten
Es werden immer weniger junge Leute zur Anwaltschaft zugelassen – vor allem im regionalen Bereich –, viele Absolventen und Absolventinnen gehen direkt in Unternehmen. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung der Anwaltschaft und was können Sie jungen Absolventinnen und Absolventen mit auf den Weg geben?
Ich habe mich erst vor kurzem mit diesem Thema beschäftigt. Unser Ziel ist es, immer mindestens 5 Anwälte und Anwältinnen in der Kanzlei zu haben. Da, wie eingangs erwähnt, in unserer Kanzlei noch einige ältere Herren als Rechtsanwälte tätig sind und diese auch in den Ruhestand gehen werden, brauchen wir auch Nachwuchs. Ich habe hier auch schon Gründe gehört, warum der Anwaltsberuf gerade für junge Leute nicht so attraktiv ist.
Zum einen spielt hier auch das Gehalt eine Rolle. Natürlich muss man hier auch schauen, in welchem Bereich und in welcher Region man ist. Aber auch hier sehe ich gerade die Regionalität als Chance. Da meiner Erfahrung nach in unserer Gegend die Einstiegsgehälter für junge Juristen eher höher sind als in Großstädten, weil die Leute auch einen Anreiz haben sollen, hierher zu kommen. Und als junger Mensch, der gerade 7/8 Jahre Studium hinter sich hat, denke ich mir auch, dass es sich auszahlen muss, wenn diese in den Vergleich zu Bekannten treten, die vielleicht mit einem Bachelorstudium, das kürzer gedauert hat, wesentlich besser verdienen. Das ist sicherlich ein Punkt.
Und dann liegt es sicherlich auch an den Interessen der jungen Leute und viele finden es tatsächlich spannender, für große Unternehmen oder große Kanzleien zu arbeiten.
Dann ist natürlich der Anwaltsberuf oft auch stressig. Man hat einen vollen Tag, der Mandantenverkehr kann manchmal sehr herausfordernd sein und gerade als junger Anwalt muss man hier schnell lernen und sich ein dickes Fell zulegen und stressresistent werden und es kann auch sein, dass man in diesem Beruf, wenn es darauf ankommt, auch mal länger da sein muss.
Hier, glaube ich, ist es ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren. Auf der einen Seite sind es die hohen Anforderungen, die an einen jungen Menschen gestellt werden und auf der anderen Seite ist es zum Teil die Bezahlung, die in Anbetracht der langen Studiendauer doch oft hinter den Erwartungen zurückbleibt. Das ist sicherlich auch ein Problem.
Aber auch hier kann ich die jungen Kolleginnen und Kollegen nur ermutigen, sich hier durchzubeißen, denn die Chancen, die sich hier bieten, sind sehr gut, weil es einen Mangel gibt. Und ich kann wirklich jeden, der Lust und Spaß an diesem Beruf hat, nur motivieren dranzubleiben, da die Möglichkeiten, die sich ergeben, die Nachteile doch überwiegen. Hier habe ich einige Beispiele aus meinem Bekanntenkreis.
Wie haben Sie sich auf Ihre Rolle als „Chef“ vorbereitet, Sie sind ja noch sehr jung?
Ich habe mich nicht speziell auf meine Rolle als "Chef" vorbereitet. Ich habe es einfach auf mich zukommen lassen, aber natürlich habe ich mir Gedanken darüber gemacht. Ich hatte das Glück, diese Kanzlei schon sehr früh kennenzulernen, da ich dort Praktika absolviert und nebenbei gearbeitet habe. Dadurch habe ich schon früh alle Mitarbeiter kennengelernt. In der Anfangsphase wurde mir oft gesagt, dass sie mich noch aus meiner Kindheit kennen. Der familiäre Umgang in unserer Kanzlei ist mir sehr wichtig, auch wenn wir mittlerweile rund 13 Mitarbeiter haben. Ich möchte, dass dieser familiäre Umgang erhalten bleibt, damit jeder gerne zur Arbeit kommt. Gerade in kleinen Kanzleien kann man das gut organisieren. Man kennt sich gut, man lebt in der Region zusammen und so haben sich gewisse Traditionen entwickelt, die ich gerne beibehalten möchte. Zum Beispiel gibt es immer um 10 Uhr eine Frühstückspause, in der wir gemeinsam am Tisch sitzen und uns über Berufliches und Privates austauschen. Das ist mir sehr wichtig. Ich möchte gute Strukturen nicht über den Haufen werfen, nur weil ich jetzt andere Themen vorantreibe, wie zum Beispiel die Digitalisierung. Ich profitiere auch sehr von der Erfahrung unserer langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihr Input ist mir sehr wichtig und hilft mir persönlich weiter.
Sie haben sich sehr früh für eine Spezialisierung entschieden. Wie wichtig ist eine Spezialisierung in einer regionalen Gegend oder muss der Anwalt hier eher ein Generalist sein?
Viele Einzelkanzleien in unserer Region sind Generalisten. Wir versuchen, die grundlegenden Rechtsgebiete abzudecken, aber jeder Anwalt ist auf maximal drei Rechtsgebiete spezialisiert. Ich finde es wichtig, sich zu spezialisieren, aber nicht nur auf ein Gebiet, um den Blick über den Tellerrand zu behalten. Zwei Fachgebiete finde ich ideal, um Abwechslung zu haben, und auch die Kanzlei profitiert von einem breiten Spektrum. Ich tendiere ganz klar zur Spezialisierung, weil es in der Juristerei sehr viele Spezialgebiete gibt. Es ist unmöglich, alles zu beherrschen, und das wäre auch nicht seriös. Wenn man das macht, was einem Spaß macht, wird man darin immer besser und die Mandanten profitieren davon. Meine Erfahrung ist, dass Mandanten eher zu Fachanwälten oder Spezialisten gehen.
Wie sind Sie zu Ihrer Spezialisierung im Strafrecht gekommen?
Das Interesse am Strafrecht wurde bei mir schon früh im Studium geweckt. Das fand ich immer am spannendsten. Mich haben immer die Hintergründe der Taten interessiert. Das Strafrecht ermöglicht es mir, eng mit Menschen zusammenzuarbeiten und ihr Leben positiv zu beeinflussen, indem ich versuche, ihnen zu helfen. Mein Ziel ist es, sie auf ihrem Weg in eine straffreie Zukunft zu begleiten und ihnen neue Perspektiven aufzuzeigen.
Gerade im Strafrecht gibt es auch schwierige Fälle oder Mandanten. Wie gehen Sie damit um?
Gerade im Strafrecht gleicht kein Fall dem anderen, da immer persönliche Schicksale damit verbunden sind und jeder Mensch anders ist. Hier ist es besonders wichtig, individuell auf den Einzelfall einzugehen. Man muss Verständnis für die Situation aufbringen, nicht für die Tat oder Handlung. Man muss dem Mandanten klarmachen, wie es jetzt weitergeht. Gerade weil meist viel auf dem Spiel steht, reagieren Menschen sehr unterschiedlich. Hier ist besonderes Fingerspitzengefühl gefragt. Insgesamt ist es sehr wichtig, zunächst Ruhe in die Situation zu bringen und den Sachverhalt streng sachlich aufzuarbeiten. Man darf den Mandanten hier auch nicht das Blaue vom Himmel versprechen, sondern es ist mir sehr wichtig, mit den Mandanten Klartext zu reden und ihnen die Tragweite und die Risiken eindringlich vor Augen zu führen. Gerade wenn es z.B. um die Frage geht, ob es eine Bewährungsstrafe gibt oder nicht, ist es wichtig, dem Mandanten aufzuzeigen, welche Wege es gibt. Was für eine positive Sozialprognose wichtig ist. Und auch wenn eine mehrjährige Haftstrafe im Raum steht, hier Wege aufzuzeigen, wie es danach weitergehen kann. Und auch so bekommt man dann eine gemeinsame Ruhe rein.
Wie gehen Sie mit Fällen um bzw. wie bearbeiten Sie Fälle, die sich in einem moralisch sehr schwierigen Bereich bewegen?
Das ist natürlich eine der klassischen Fragen bei jeder privaten Feier. Wie kannst du es mit deinem Gewissen vereinbaren, dass ...? Gerade im ersten Berufsjahr habe ich keine besonders „krassen“ Delikte bearbeitet, da ich noch in der Findungsphase war. Zum einen war ich stark in die Kanzleiorganisation eingebunden, zum anderen musste ich mir auch eine fundierte fachliche Tiefe und auch eine entsprechende mentale Stärke aufbauen.
Mittlerweile vertrete ich alle Bereiche. Denn ein Verteidiger ist ja gerade dazu da, die Verfahrensrechte zu wahren und da darf der Tatvorwurf keinen Unterschied machen. Ein Verteidiger ist nicht nur primär dazu da, dass jemand, der etwas Schlimmes getan hat, einen Freispruch bekommt, sondern dass eine Strafe gefunden wird, die der Tat und der Schuld angemessen ist und nicht, dass aufgrund eines möglichen Drucks von außen eine Strafe verhängt wird, die unverhältnismäßig ist. Ich bin hier ganz klar der Meinung, dass jeder ein Recht auf Verteidigung hat. Das ist auch gesetzlich verankert und das ist auch gut so. Und nur weil jemand eine bestimmte Tat begangen hat, heißt das noch lange nicht, dass er ein schlechter Mensch ist. Manchmal gibt es Momente, in denen man auf die schiefe Bahn gerät. Es gibt Menschen, die dann die Kurve kriegen, aber es gibt auch Menschen, die mit Kurzschlusshandlungen reagieren. Und ich setze mich hier auch für jeden ein, aber ich habe auch gewisse Anforderungen an meine Mandanten. Ich verlange von ihnen eine gewisse Mitarbeit, wenn ich mich hier engagiere, gerade wenn es auch darum geht, für jemanden einen Therapieplatz zu besorgen oder Ähnliches. Hier muss der Mandant ein Problembewusstsein haben und auch eine gewisse Einsicht zeigen. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, bin ich auch bereit, jedem zu helfen. Ich sehe mich hier nicht als jemand, der „die Bösen“ vertritt, sondern als Teil des Konstrukts, der den Menschen auch helfen will.
Welchen Rat geben Sie Menschen, die eine Karriere im Bereich der Strafverteidigung in Betracht ziehen?
Man sollte sehr früh anfangen, praktische Anknüpfungspunkte zu finden. Gerade im Bereich des Studiums, wenn es um Praktika geht, entsprechende Praktika zu machen. Oder auch im Referendariat bei der Polizei mal mit auf Streife zu gehen. Weil gerade dann merkt man sehr schnell, ob man Interesse an dem Bereich hat und ob einem das auch liegt. Einfach Berührungspunkte zu finden, das ist auf jeden Fall ein wichtiger Punkt.
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