LG Hanau: Handy-Aufnahmen von Polizisten mit aktivierter Body-Cam sind erlaubt
In einer viel beachteten Entscheidung hat das Landgericht (LG) Hanau detailliert begründet, weshalb es die Aufnahme eines Polizeieinsatzes mit dem Smartphone jedenfalls dann nicht für strafbar hält, wenn während des Einsatzes ein Polizeibeamter selbst seine Body-Cam aktiviert hat.
Polizei und kontrollierte Personen filmten sich gegenseitig
Das LG Hanau hat sich ausführlich mit der Zulässigkeit von Smartphone-Aufnahmen eines Polizeieinsatzes befasst. Polizeibeamte hatten nachts gegen 0.40 Uhr ein mit 3 männlichen Personen besetztes Fahrzeug kontrolliert. Als die Situation konfrontativ wurde, aktivierte einer der Polizeibeamten nach vorheriger Ankündigung seine Body-Cam. Daraufhin filmte einer der Männer den Einsatz mit seinem Smartphone. Der Aufforderung der Beamten, dies zu unterlassen, kam er nicht nach und erklärte, er habe das Video bereits in der Cloud gespeichert. Der Beamte ordnete daraufhin die Sicherstellung des Smartphones an.
Klage gegen Sicherstellung des Smartphones
Gegen die Anordnung der Sicherstellung ging der Betroffene später gerichtlich vor. Nachdem das AG zunächst die Zulässigkeit der Sicherstellung wegen eines berechtigten Anfangsverdachts der Verwirklichung der Straftat der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 StGB bejaht hatte, bewertete das LG dies im Beschwerdeverfahren anders.
§ 201 StGB dient dem Schutz vertraulich gesprochener Worte
Das LG stellte in seiner Entscheidung maßgeblich auf Sinn und Zweck sowie auf den Wortlaut des § 201 StGB ab. Nach dieser Vorschrift wird u.a. bestraft, wer das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen aufnimmt, gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. Die Vorschrift hat nach der Bewertung des LG den Sinn, vertrauliche, im engen Kreis gesprochene Worte vor heimlich gefertigten Tonaufnahmen und deren Verbreitung zu schützen.
Sind Gespräche mit aktivierter Body-Cam vertraulich?
Vor diesem Hintergrund sei der Begriff des nichtöffentlich gesprochenen Wortes eng auszulegen. Dies schließe nicht aus, dass das persönliche Wort, das ein Polizeibeamter im Einsatz mit einem Betroffenen wechselt, in den Schutzbereich der Norm fallen könne. Diese Vertraulichkeit werde aber spätestens dann durchbrochen, wenn der Polizeibeamte seine Body-Cam aktiviere, um auf diese Weise eine Dokumentation für eine möglicherweise später erforderliche Rekonstruktion der Gesamtsituation zu erstellen. Damit werde der enge Kreis der unmittelbaren Gesprächsteilnehmer und damit die Vertraulichkeit verlassen.
Aufnahme eines Polizeieinsatzes mit Body-Cam ist erlaubt
Die in dieser Situation vom Betroffenen mit seinem Smartphone gefertigte Aufnahme des Polizeieinsatzes kann daher nach Auffassung des LG nicht gegen die Vorschrift des § 201 StGB verstoßen. Dies gilt nach Auffassung des LG umso mehr, als die Dokumentation bedeutsamer Ereignisse mit dem Smartphone heute für viele Menschen zum Alltag gehört.
Widerstreitende Interessen von Polizei und kontrollierten Personen
Das LG hat nicht verkannt, dass grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse der Polizei besteht, Einsätze ungestört und ohne unnötige Konfrontationen durchzuführen. Eine unbeschränkte Erlaubnis zur Anfertigung von Bildaufnahmen bei Polizeieinsätzen berge u.a. die Gefahr, dass aus dem Zusammenhang gerissene Passagen z.B. im Internet veröffentlicht würden. Auf der anderen Seite ist aus Gründen der Waffengleichheit durchaus ein Interesse der betroffenen Privatpersonen anzuerkennen, in den Besitz von Beweismitteln zu gelangen, um später in einem Rechtsstreit ihre Darstellung eines strittigen Geschehensablaufs untermauern zu können.
Sicherstellung des Smartphones war rechtswidrig
Zur Abwägung der wechselseitigen Interessen und Auflösung des daraus entstehenden Spannungsverhältnisses ist nach Auffassung des LG der Gesetzgeber zu einer Regelung aufgerufen. Mit dem bestehenden § 201 StGB sei die Grundproblematik jedenfalls nicht zu lösen. Das LG erklärte die erfolgte Sicherstellung des Smartphones mangels Anfangsverdachts einer Straftat im Nachhinein für rechtswidrig.
(LG Hanau, Beschluss v. 20.4.2023, 1 Qs 23/22)
Hintergrund:
Das Problem der juristischen Einordnung der Aufnahme von Polizeieinsätzen mittels Smartphone ist nicht neu. Ende 2022 hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages ein Gutachten zur Strafbarkeit von audiovisuellen Aufnahmen von Polizeieinsätzen in Deutschland erstellt und dabei zwischen einer möglichen Strafbarkeit von Bildaufnahmen und der Strafbarkeit von Tonaufnahmen unterschieden.
Bildaufnahmen regelmäßig nicht strafbar
Grundsätzlich kommt eine Strafbarkeit der Anfertigung von Bildaufnahmen von Polizeieinsätzen nach § 33 Abs. 1 KunstUrhG in Betracht. Dies setzt jedoch eine Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung unter Verstoß gegen das Kunsturheberrecht voraus. Die bloße Herstellung von Bildaufnahmen stellt für sich genommen keine taugliche Tathandlung dar, nach der Rechtsprechung des BVerfG auch nicht bei Polizeieinsätzen (BVerfG, Beschluss v. 24.7.2015, 1 BvR 2501/13). Zudem kann gerade bei Polizeieinsätzen ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit eine Veröffentlichung rechtfertigen. Eine Strafbarkeit nach § 33 Abs. 1 KunstUrhG kommt daher in der Praxis häufig nicht in Betracht.
Strafbarkeit von Tonaufnahmen
Zur Strafbarkeit von Tonaufnahmen gibt es mittlerweile eine Reihe unterschiedlicher Entscheidungen. In der Rechtsprechung existiert der Begriff der faktischen Öffentlichkeit, der eine Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes ausschließt und bereits dann gegeben sein soll, wenn in einer Äußerungssituation für unbeteiligte Dritte erkennbar die Möglichkeit des Mithörens besteht (LG Kassel, Beschluss v. 23. 9. 2019, 2 Qs 111/19). Nach einer Entscheidung des LG Osnabrück ist eine faktische Öffentlichkeit bereits dann gegeben, wenn Dritte die Diensthandlung von Polizeibeamten von einem frei zugänglichen Bereich aus hätten beobachten oder wahrnehmen können, ohne dass es auf eine tatsächliche Wahrnehmung der Äußerung ankommt (LG Osnabrück, Urteil v. Beschluss v. 24.9.2021, 109 Qs 120 Js 32757/21).
Rechtfertigung bei rechtswidrigem Polizeihandeln
Schließlich kann auch die Tonaufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes im Rahmen eines Polizeieinsatzes gerechtfertigt sein, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Verhalten der Polizeibeamten vorliegen (LG Aachen, Beschluss v. 19.8.2020, 60 Qs 34/20).
Fazit:
In der Justizpraxis tun sich die Gerichte mit der juristischen Behandlung von Handyaufnahmen von Polizeieinsätzen erkennbar schwer. Der Straftatbestand der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 StGB passt nur bedingt auf diese Situation. Soweit man ein rechtspolitisches Erfordernis für die Eindämmung von ungebetenen Handy-Aufnahmen von Polizeieinsätzen bejaht, dürfte der Ansatz des LG Hanau in seinem aktuellen Urteil nicht unbedingt falsch sein, die Aufgabe einer tragfähigen Regelung dem Gesetzgeber zuzuweisen.
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