Leitsatz (amtlich)
1. Der Sturz eines Fußgängers auf einem schneebedeckten Gehweg führt für sich genommen noch nicht zum Beweis des ersten Anscheins für die Verletzung der Streupflicht durch den Verkehrssicherungspflichtigen, denn nach der Lebenserfahrung sind Unfälle infolge Winterglätte auch auf gestreuten bzw. von Schnee geräumten Wegen nicht auszuschließen.
2. Bei der Räum- und Streupflicht sind insbesondere die Verkehrsbedeutung des Weges und der Umfang dessen üblicher Benutzung zu berücksichtigen. Daher ist auf einem nur wenige Male am Tag benutzten Zugangsweg zu einer Wohnung auf einem Privatgrundstück nur eine Durchgangsbreite erforderlich, die für die Begehung durch eine Person ausreicht.
3. Bei Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht kommt ein Mitverschulden immer dann in Betracht, wenn ein sorgfältiger Mensch Anhaltspunkte für eine Verkehrssicherungspflichtverletzung hätte rechtzeitig erkennen können und er die Möglichkeit besaß, sich auf die Gefahr einzustellen (hier war die private Zuwegung augenscheinlich nicht bzw. unzureichend gestreut bzw. abgesichert).
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 27.10.2011; Aktenzeichen 5 O 926/11) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 27.10.2011 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Magdeburg - Einzelrichterin - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist - wie auch das angefochtene Urteil des LG - ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 10.000 EUR.
Gründe
I. Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO auf das am 27.10.2011 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Magdeburg (LA Bl. 88 - 92 d.A.) Bezug genommen.
Ergänzend und klarstellend wird ausgeführt:
Der am 14.1.1949 geborene Kläger begehrt in zweiter Instanz noch Ersatz seines immateriellen Schadens wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung von der Beklagten, seiner Mutter. Den erstinstanzlich gestellten Feststellungsantrag verfolgt er nicht weiter.
Die Beklagte ist Eigentümerin des Hausgrundstückes R. Straße 9 in T.. Zum Hauseingang führt ein gepflasterter Weg vom Gartentor, wo auch der Briefkasten angebracht ist. Unmittelbar vor dem Hauseingang befindet sich eine Betonplatte. Wegen der genauen Örtlichkeiten wird auf die Skizze Bl. 62 d.A. Bezug genommen.
Der Kläger begab sich am 9.2.2010 gegen Mittag zum Grundstück der Beklagten, wo er auf der Betonfläche zu Fall kam. Hierdurch zog er sich einen Oberschenkelhalsbruch links zu und befand sich 11 Tage in stationärer sowie anschließend bis
14.4.2011 in ambulanter Behandlung. Anschließend musste er sich einer Rehabilitationsmaßnahme unterziehen. Zum Unfallzeitpunkt herrschten Schneeverhältnisse.
Der Kläger begehrt noch die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, dass er mit ca. 10.000 EUR beziffert. Ferner begehrt er Zahlung der ihm entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von insgesamt 775,64 EUR.
Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anspruch des Klägers auf immateriellen Schadenersatz gem. §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB bestehe nicht, weil die Beklagte eine ihr womöglich obliegende Verkehrssicherungspflicht für den Zustand ihres Grundstückes jedenfalls nicht verletzt habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte müsse der Verkehrssicherungspflichtige nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eine Schadenseintrittsvorsorge treffen, sondern nur solche, die geeignet sind, eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Anderenfalls müsse der Geschädigte den Schaden selbst tragen. Es könne schon dahingestellt bleiben, ob der Beklagten für die Zuwegung zu ihrem Wohnhaus auf ihrem Grundstück überhaupt eine Räum- und Streupflicht obliege. Jedenfalls wären die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten gering anzusetzen. Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richteten sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges, aber auch seine Gefährlichkeit und der Umfang des Verkehrs zu beachten seien. Dabei stehe die Pflicht auch unter dem Vorbehalt des Zumutbaren und orientiere sich an der Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen. Zudem stehe nach der informatorischen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 29.9.2011 fest, dass die Beklagte einer ihr obliegenden Räum- und Streupflicht ausreichend nachgekommen sei. Der Kläger habe glaubhaft angegeben, dass die Beklagte am Unfalltage vormittags die Zuwegung mit Kies gestreut habe, welcher durch Schneeverwehungen wegen des am Unfalltage herrschenden Windes teilweise mit Schnee bedeckt gewesen sei. Mit dem Streuen des Kieses habe die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht genügt, weiter gehende Abstumpfungen seien nicht erforderlich gewesen. Aber auch bei Annahme einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hafte die Beklagte nicht, weil sich ...