Leitsatz (amtlich)
1. Nutzen Mitarbeiter unterschiedlicher Gewerbe ein Baugerüst gleichzeitig (hier: Dachdecker und Maler), so stellt die ungesicherte Ablage eines Zinkblechs auf einer Regenrinne eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar.
2. Die Haftungsprivilegierung nach §§ 106 Abs. 3 Alt. 3 i.V.m. 105 SGB VII gilt nicht für das bloße Zusammentreffen mehrerer Unternehmen auf derselben Baustelle, sondern erst dann, wenn eine gewisse wechselseitige Verbindung zwischen den Tätigkeiten der Unternehmen die Bewertung als eine "gemeinsame" Betriebsstätte rechtfertigt.
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 20.12.2013; Aktenzeichen 2 O 256/12) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers ist das am 20.12.2013 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Dessau-Roßlau aufgehoben:
Die Klage wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldanspruchs wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie hat in der Sache insoweit Erfolg, als das Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 20.12.2013 aufgehoben und die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wird; hinsichtlich der Höhe des mit der Klage geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs wird die Sache auf Antrag des Klägers gem. § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO an die erste Instanz zurückverwiesen.
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gem. §§ 831 Abs. 1, 823 Abs. 1 i.V.m. 253 Abs. 2 BGB zu.
a) Die auf der Baustelle tätigen Zeugen H. und G., bei denen es sich um Verrichtungsgehilfen der Beklagten handelte, haben den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung rechtswidrig verwirklicht.
aa) Nach den eigenen - insofern unbestrittenen - Angaben der Beklagten haben ihre beiden Mitarbeiter am Unfalltag ein Zinkblech in der Regenrinne des Neubaus ungesichert abgelegt, um dieses Blech später zu montieren; durch einen Windstoß wurde das Zinkblech heruntergeweht und verursachte die Verletzungen des auf der darunter befindlichen Gerüstebene befindlichen Klägers.
bb) Die ungesicherte Ablage des Zinkblechs auf der Regenrinne stellte eine Pflichtwidrigkeit dar. Denn das Zinkblech konnte jederzeit - etwa durch einen Windstoß, aber auch aufgrund der unbeabsichtigten Berührung durch eine der dort tätigen Personen - herabfallen. Dass in Höhe des Dachs eines Hauses stärkere Winde auftreten können als am Boden, entspricht allgemeinem Kenntnisstand. Die Ablage eines Zinkblechs auf der Regenrinne war deshalb mit besonderen Gefahren verbunden, weil die Regenrinne dem Blech, wie immer es auf bzw. in der Regenrinne platziert worden sein mag, keinen sicheren Halt bot und das Blech bei einem Umkippen oder Verrutschen in die Tiefe stürzen musste (zu den örtlichen Verhältnissen s. auch das als Anlage B 1 eingereichte Lichtbild).
b) Die vorübergehende Ablage des Zinkblechs auf der Regenrinne entsprach auch nicht etwa deshalb einem vertretbaren Vorgehen, weil nach Überzeugung des LG die Verrichtungsgehilfen der Beklagten, H. und G., durch eine entsprechende Verständigung mit den Mitarbeitern der Fa. B. dafür Sorge getragen hatten, dass diese nicht unmittelbar unter den Dachdeckern auf dem Gerüst ihre Arbeiten ausführten.
aa) Der Zeuge H. hat bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung bekundet, es sei am Morgen des Unfalltages eine Absprache dahingehend getroffen worden, dass die Dachdecker mit ihren Arbeiten auf der rechten Seite des Hauses beginnen und sich nach links vorarbeiten sollten, während die Verputzung der Wände durch die Malerfirma links beginnen und nach rechts fortgesetzt werden sollte. Nach der Mittagspause, als sich die Mitarbeiter der Fa. B. etwa in der Mitte des Gerüsts befunden hätten, hätten sie - die Zeugen H. und G. - dann ganz links mit den Dachdeckerarbeiten begonnen und sich von dort aus nunmehr ebenfalls nach rechts vorgearbeitet. Die Absprache habe - so der Zeuge H. - gerade dazu gedient, um "so etwas wie die Schädigung eines Mitarbeiters durch ein herab fallendes Zinkblech" zu vermeiden.
bb) Ob die Beweiswürdigung des LG, die im Wesentlichen der vorstehend wiedergegebenen Aussage des Zeugen H. gefolgt ist, den Angriffen der Berufung im Hinblick auf § 529 Abs. 1 ZPO standhielte oder aber die vom Kläger erhobenen Einwände eine Wiederholung bzw. Ergänzung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme gebieten würden, lässt der Senat ausdrücklich dahinstehen. Denn selbst wenn es die dargestellte Absprache gegeben hätte, befreite sie die Beklagte im vorliegenden Fall nicht von ihrer Haftung.
Die Mitarbeiter der Fa. B., die sich auf eine derartige Absprache eingelassen haben (sollen), konnten gleichwohl davon ausgehen, dass die Beklagte die ihr bei der Ausführung der Dachdeckerarbeiten obliegenden Sorgf...