Leitsatz (amtlich)

1. Wählt der Operateur (Bandscheibenoperation, Lendenwirbelsäule L3/4) den sog. interlaminären Zugangsweg, obgleich der überwiegende Teil des Vorfalls extraforaminal liegt, so stellt dieses Vorgehen, das die Notwendigkeit einer Folgeoperation zwecks Beseitigung auch des extraforaminalen Vorfallsanteils nach sich gezogen hat, einen "nur" einfachen und keinen groben Behandlungsfehler dar. Tragend für diese Bewertung ist,

a) dass extraforaminale Vorfälle deutlich seltener vorkommen als andere Vorfallsarten, leichter zu übersehen sind und die richtige Einschätzung zur Art des operationstechnisch erfolgversprechenden Vorgehens (interlaminärer Zugang vs. extraforminaler Zugangsweg) deutlich schwieriger ist als im Regelfall der Praxis, dem Fall eines innerhalb des Spinalkanals liegenden Vorfalls;

b) dass vorliegend ein vorab extern eingeholter radiologischer Befund unrichtigerweise für einen größtenteils intraforaminalen Bandscheibenvorfall gesprochen hatte (während tatsächlich der extraforaminale Anteil deutlich überwog).

2. Die vom Patienten zu beweisende Kausalität zwischen einer wegen der Notwendigkeit einer Nachoperation eingetretenen Verzögerung der vollständigen Entfernung des Vorfalls und einer dauerhaft verbleibenden radikulären Symptomatik ist nicht erwiesen, wenn - wie nach der fachmedizinischen Literatur und Praxiserfahrung der Fall - nicht feststeht, ob und inwieweit die Dauer eines Drucks auf die Nervenwurzel, also die zeitliche Komponente, maßgeblich für einen Druckschaden und davon ausgehende Beschwerden ist, oder aber das Maß des Anfangsdrucks entscheidend ist.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 24.02.2016; Aktenzeichen 9 O 2710/06)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 24. Februar 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg (Az. 9 O 2710/06) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Schuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt weiteres Schmerzensgeld sowie materiellen Schadensersatz, nachdem ihr der gegnerische Haftpflichtversicherer 4.000,00 Euro Schmerzensgeld gezahlt und das Landgericht die Beklagten zu 1. und 2. zur Leistung eines weiteren Schmerzensgeldes über 3.000,00 Euro verurteilt hat.

Die 1955 geborene Klägerin arbeitete als Heilerziehungspflegerin in einer Einrichtung für körperbehinderte Menschen und war auf einer Dienstreise im Mai 2003 mit dem Bett zusammengebrochen. Unmittelbar danach trat ein heftiger Schmerz im Rücken und im linken Bein auf. Gleichwohl stand sie die Dienstreise durch. Vom 05. bis 28. Juni 2003 wurde die Klägerin im Kreiskrankenhaus B. der Beklagten zu 1. stationär behandelt. Der Beklagte zu 2. operierte die Klägerin am 16. Juni 2003 an der Bandscheibe (Lendenwirbelsäule L3/4). Gewählt wurde ein sog. interlaminärer Zugangsweg. Der Beklagte zu 3. war bei der Beklagten zu 1. als Assistenzarzt tätig und behandelte die Klägerin postoperativ wegen einer "diffusen Schmerzsymptomatik diverser Körperregionen" (Entlassungsbericht der Beklagten zu 1., Anlage 3).

Der Operation ging am 11. Juni 2003 eine MRT-Untersuchung im S. -Krankenhaus H. voraus. In der Beurteilung durch Frau Dr. med. R., Chefärztin der Radiologischen Klinik, heißt es:

"Im Vordergrund des Befundes steht in Höhe L3/L4 ein erheblicher linkslateraler, größtenteils intraforaminaler Bandscheibenvorfall mit Impression und deutlicher Verlagerung der linksseitigen Nervenwurzel nach dorsolateral. In Höhe L4/L5 geringe Bandscheibenvorwölbung, hier mittelgradiger Osteochondrose ohne zurzeit nachweisbare Aktivierung."

Zudem hatte sich die Klägerin in der Praxis Dr. W., B., einer neurologischen Untersuchung unterzogen, bei der es u. a. zur Feststellung einer "ausgeprägten Femoralisparese links - ein Anheben des linken Beines ist mit und ohne Widerstand nicht möglich" gekommen war (Bericht vom 12. Juni 2003 - Anlagenband).

Postoperativ hat die Klägerin weiterhin unter starken Schmerzen im Rücken und im linken Bein gelitten. Eine Kontrolle des Operationsergebnisses durch MRT oder CT hat im Hause der Beklagten zu 1. nicht stattgefunden. Im Entlassungsbericht der Beklagten zu 1. vom 27. Juni 2003 heißt es:

"[...] Postoperativ erhielt die Patientin ein Cortisonschema in absteigender Dosierung als abschwellende Maßnahme. In Verbindung mit Schmerzmittelgaben konnte hier eine allmähliche Besserung erzielt werden.

Wir begannen mit einer krankengymnastischen Mobilisierung an 2 UA-Gehstützen sowie einem Quadrizepstraining.

Der weitere stationäre Verlauf postoperativ gestaltete sich psychisch sehr wechselhaft, insbesondere war eine sehr wechselhafte und diffuse Schmerzsymp...

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