Leitsatz (amtlich)

Ein Sachverständiger, der in einem mündlichen familiengerichtlichen Sachverständigengutachten in einem Parallelverfahren psychologische Testergebnisse zum Nachteil einer Verfahrensbeteiligten mindestens fahrlässig falsch dargestellt hat, liefert damit einen Grund, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit in einem Verfahren zu rechtfertigen, in dem ein schriftliches Gutachten durch ihn noch aussteht.

 

Normenkette

FamFG § 30 Abs. 1; ZPO § 406 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

AG Nürnberg (Aktenzeichen 117 F 3859/21)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hin wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg, Abteilung für Familiensachen, Az: 117 F 3859/21, vom 07.07.2023 abgeändert.

Das den Sachverständigen Dr. S. betreffende Ablehnungsgesuch der Antragstellerin wird für begründet erklärt.

2. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.300 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 07.07.2023, mit dem ihr Befangenheitsantrag vom 05.04.2023 gegen den Sachverständigen Dr. S. zurückgewiesen wurde.

I. Die Beteiligten sind die seit Mai 2021 getrenntlebenden Eltern des Kindes H..., geb. am ...2018, die bislang das gemeinsame Sorgerecht für das Kind ausüben. Mit Antrag vom 06.12.2021 beantragte die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren die Übertragung der elterlichen Sorge auf sich. Hintergrund des Antrags war eine seitens der Antragstellerin beim Antragsgegner über mehrere Jahre hinweg festgestellte Persönlichkeitsveränderung und der von ihr geäußerte Verdacht, der Antragsgegner habe einen Vergiftungsversuch zu ihren Lasten und sexuellen Missbrauch zu Lasten von H... begangen. Der Antragsgegner wies sämtliche Vorwürfe zurück und erklärte die Situation mit dem schlechten psychischen Allgemeinzustand der Antragstellerin, der Züge von Paranoia aufweise. Die zwischenzeitlich laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren gegen den Antragsgegner wurden eingestellt.

Am 21.12.2021 erließ das Amtsgericht einen Beweisbeschluss, nach dem ein schriftliches familienpsychologisches Sachverständigengutachten über die Erziehungsfähigkeit und Bindungstoleranz der Elternteile sowie die Frage, welcher Elternteil besser in der Lage sei, das Kind zu betreuen und zu erziehen, zu erholen sei. Dabei möge der Sachverständige auf die von der Mutter vorgebrachten Vorwürfe betreffend des Verdachts des sexuellen Missbrauchs des Kindes durch den Antragsteller sowie auf die seitens des Antragsgegners geäußerten Vorwürfe von paranoiden Störungen und Verfolgungswahn bei der Antragstellerin eingehen. Das Gutachten sei bis Juni 2022 zu erstatten. Mit Beschluss vom 02.02.2022 wurde der Beschluss dahingehend ergänzt, dass Dr. S... zum Sachverständigen bestellt wurde.

Am 22.03.2022 reichte die Antragstellerin einen Antrag auf einstweilige Anordnung auf Ausschluss des Umgangsrechts gem. § 1684 Abs. 4 BGB beim Amtsgericht ein (Az: 117 F 1033/22). Sie führte aus, am 18.03.2022 habe die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kinder- und Jugendalter (KJP) bezüglich H... die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nach körperlichem, anzunehmend sexuellem Missbrauch gestellt. Sie, die Antragstellerin habe bei H... jeweils nach den Umgängen ein äußerst aggressives Verhalten und massive nächtliche Alpträume beobachtet. Diese Beobachtung werde auch von der Tagesklinik der KJP, in der sich H... seit Januar 2022 tagsüber zur Diagnostik und Behandlung aufhalte, geteilt. Das Verhalten H... unmittelbar nach den Umgängen zeige, dass die Umgänge mit dem Vater ihn sehr belasteten. Das ärztliche Attest des Klinikums Nürnberg - Süd - vom 18.03.2022 sowie eine eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin waren beigefügt.

Mit Beschluss vom 23.03.2022 beauftragte das Amtsgericht den Sachverständigen Dr. S..., im einstweiligen Anordnungsverfahren Umgang ein mündliches Gutachten darüber zu erstatten, welche Umgangsregelung zur bestmöglichen Wahrung des Wohles des Kindes angezeigt sei. Dabei solle auch geprüft werden, ob ein Ausschluss des Umgangs zum Wohle des Kindes erforderlich sei. Ebenfalls mit Beschluss vom 23.03.2022 schloss das Amtsgericht Nürnberg das Umgangsrecht des Antragsgegners bis zum 29.04.2022 aus. Das Amtsgericht bestimmte zeitgleich einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 29.04.2022. Ein Telefonvermerk der Richterin vom selben Tag ergibt, dass sie mit dem Sachverständigen an diesem Tag telefoniert hat und dieser ihr mitgeteilt hat, dass er im Hinblick auf das beauftragte Gutachten im Verfahren zur elterlichen Sorge noch zu keinem vorläufigen Ergebnis im Rahmen der Begutachtung gekommen sei, er jedoch bis zum Anhörungstermin am 29.04.2022 ein mündliches Gutachten zur Frage des Umgangsausschlusses erstellen könne.

Aufgrund mehrerer Terminsverlegungen fand der Termin zur mündlichen Anhörung und Gutachtenserstattung im einstweiligen Anordnungsverfahren Umgang am 24.06.2022 statt. Im Hinblick auf ...

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