Entscheidungsstichwort (Thema)

Faires Verfahren. Messreihe. Einlassung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Nichtherausgabe der Messreihe des Tattages verletzt den Betroffenen eines Bußgeldverfahrens nicht in seinem Recht auf ein faires Verfahren.

Die Einlassung des Betroffenen ist auch hinsichtlich der möglichen Rechtsfolgen wiederzugeben.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Cloppenburg (Entscheidung vom 09.08.2023)

 

Tenor

Die Sache wird vom rechtsunterzeichnenden Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 09.08.2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 338 € und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 OWiG statthaften und mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts zulässig begründeten Rechtsbeschwerde.

Der rechtsunterzeichnende Einzelrichter hat die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, da der Senat bisher noch nicht entschieden hat, ob einem Betroffenen ein Anspruch auf die Herausgabe der gesamten Messreihe zusteht.

Die Verfahrensrüge ist in diesem Zusammenhang ordnungsgemäß ausgeführt worden. Der Betroffene hat sich auch in ausreichendem Maße darum bemüht, die Messreihenbilder zu erlangen.

Er hat sein Herausgabeverlangen damit begründet, dass er den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf auf breiterer Grundlage prüfen und insbesondere nach etwaigen, allen Messungen anhaftenden, aber der Messung des Betroffenen nicht zu entnehmenden Fehlern suchen möchte, die die Messbeständigkeit des Gerätes infrage stellen könnten und nach denkbaren, auf einen Umbau oder eine ungewollte Neuausrichtung während des Messbetriebes hindeutenden Veränderungen der Bildausschnitte. Hierzu zählten weiterhin eine mögliche Veränderung der Fotoposition und/oder der Messgeometrie.

Die Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren bzw. der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung hat keinen Erfolg.

Ob ein Anspruch auf Herausgabe der gesamten Messreihe, zu der die herausverlangten Messreihenbilder gehören, besteht, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Zum Meinungsstand wird verwiesen auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 30.05.2023, 1 RBs 288/22, bei burhoff.de.

Soweit ersichtlich war das Thüringer Oberlandesgericht (Beschluss vom 17. März 2021,1 OLG 331 Subs [richtig wohl: Ssbs] 23/20, juris) das erste Obergericht, das einen Anspruch auf die Falldateien anderer Verkehrsteilnehmer bejaht hat. Über die Stellungnahme der PTB "Der Erkenntniswert von Statistikdatei, gesamter Messreihe und Annullationsrate in der amtlichen Geschwindigkeitsüberwachung", Fassung vom 30.03.2020, wonach es für den Messwert einer konkreten Einzelmessung keinen Zusammenhang mit den Messergebnissen für Fahrzeuge gebe, die in den Stunden davor und danach erfasst worden seien, hat sich das Thüringer Oberlandesgericht mit der Erwägung hinweggesetzt, diese reiche nicht aus, um schon die Möglichkeit etwa aus der Messreihe insgesamt abzuleitender Entlastungsmomente schlechthin auszuschließen und der Messreihe von vornherein eine potentielle Beweiserheblichkeit abzusprechen.

Diese Entscheidung ist teilweise heftig kritisiert worden. So heißt es bei Krenberger, NZV 2021, 331 -beck-online- das OLG Jena habe sich in nicht nachvollziehbarer Weise auf technisches Terrain gewagt und behauptet, dass die Stellungnahme der PTB zu allgemein sei und deshalb nicht zutreffe, ohne auch nur den Hauch eines Gedankens darauf zu verwenden, die PTB mit dieser Tatsachenfrage nochmals zur gutachterlichen Stellungnahme aufzufordern.

Ropertz, NZV 2021, 500 ff -beck-online- meint, dass, soweit das OLG Jena und das OLG Stuttgart meinten, dass aus bestimmten Auffälligkeiten der restlichen Messreihe Anhaltspunkte für einen Fehler der fallgegenständlichen Messung geschlossen werden könnten, sie sich auf Meinungen privater Sachverständiger berufen würden. Diese würden jedoch durch die zitierte Stellungnahme der PTB widerlegt. Es sei nicht klar, weshalb den privaten Gutachtern mehr Glauben geschenkt werde, als der PTB als staatlicher Stelle.

Bei Merz, NZV 2022, 27, 30 ff. [OLG Zweibrücken 04.05.2021 - 1 OWi 2 SsRs 19/21][OLG Zweibrücken 04.05.2021 - 1 OWi 2 SsRs 19/21], findet sich Folgendes:

"Dreh- und Angelpunkt der Erkennbarkeit der Relevanz der gesamten Messreihe für die Verteidigung ist dabei eine Stellungnahme der PTB vom 30.3.2020, in der sich die PTB ...

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