Leitsatz (amtlich)
Im selbständigen Beweisverfahren muss der Sachvortrag des Antragstellers zum Hauptanspruch, zu dessen Geltendmachung die Begutachtung durch einen Sachverständigen dienen soll, nicht nach § 487 Nr. 4 ZPO glaubhaft gemacht werden.
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Beschluss vom 01.04.2008; Aktenzeichen 3 OH 6/08) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Osnabrück vom 1.4.2008 abgeändert:
I. Es wird Beweis erhoben über folgende Fragen:
1. Hätte nach dem Stand der medizinischen Heilkunde Veranlassung bestanden, das in das Mittelohr verschobene rechte Paukenröhrchen der Antragstellerin operativ zu entfernen, nachdem die Verschiebung am 21.11.2005 durch den Antragsgegner bemerkt worden war?
2. Trifft es zu, dass die Entfernung des Paukenröhrchens rechts nunmehr nicht mehr möglich bzw. wegen zwingender negativer Begleitumstände und Operationsrisiken nicht mehr angeraten ist?
3. Trifft es zu, dass von dem verbleibenden Paukenröhrchen Beeinträchtigungen wie zum Bespiel Schwindel ausgehen und auch die Gefahr einer Gesichtslähmung besteht?
II. Zum Sachverständigen wird Herr Dr. med. A. bestellt.
III. Die Versendung der Akten an den Sachverständigen ist davon abhängig, dass die Antragstellerin binnen 3 Wochen einen Auslagenvorschuss von 1.500 EUR einzahlt.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt im selbständigen Beweisverfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung eines ärztlichen Behandlungsfehlers des Antragsgegners.
Die Antragstellerin befand sich in ambulanter Behandlung bei dem Antragsgegner, einem niedergelassenen Hals-Nasen-Ohrenarzt, der ihr nach einer Mittelohrentzündung wegen eines verbliebenen Mucotympanons am 4.3.2005 im Rahmen einer Paukendrainage in beide Ohren Paukenröhrchen setzte. Bei einer Nachuntersuchung am 21.11.2005 stellte der Antragsgegner fest, dass sich das rechte Paukenröhrchen nach innen in das Mittelohr verschoben hatte. Für dessen Entfernung sah er keine Notwendigkeit.
Die Antragstellerin behauptet, der Antragsgegner hätte bereits seinerzeit das Paukenröhrchen entfernen müssen. Wegen ihrer im Laufe des Jahres 2007 aufgetretenen Schmerzen sei im Herbst 2007 die Indikation zu einer Operation gestellt worden. Diese habe jedoch nicht durchgeführt werden können, da wegen der zwischenzeitlichen Entwicklung nur noch eine gleichzeitige Entfernung der Knochensubstanz möglich und daher das Operationsrisiko zu hoch gewesen sei. Durch den Verbleib des Paukenröhrchens bestehe das Risiko von Schwindelgefühlen bei körperlicher Anstrengung sowie die Gefahr einer Gesichtslähmung. Die vorgenannten Beweisbehauptungen will die Antragstellerin durch einen Sachverständigen festgestellt wissen.
Das LG hat durch den angefochtenen Beschluss den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens abgewiesen.
II. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
Der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ist entgegen der Auffassung des LG zulässig, insbesondere ist das rechtliche Interesse der Antragstellerin hieran gegeben.
1. Nach ganz herrschender Meinung ist das selbständige Beweisverfahren, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens, auf Antrag des Patienten zur Feststellung eines von ihm behaupteten Behandlungsfehlers grundsätzlich zulässig (BGH NJW 2003, 1741; OLG Düsseldorf NJW 2000, 3438; OLG Koblenz OLGReport Koblenz 2005, 639; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., S. 396 m.w.N.). Dabei ist der Begriff des "rechtlichen Interesses", das gem. § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO besteht, wenn die begehrte Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, auch hier weit zu fassen. Diese Voraussetzung ist im Bereich von Arzthaftungsfragen grundsätzlich gegeben. Denn kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass kein ärztliches Fehlverhalten vorliegt, wird der Patient möglicherweise die beabsichtige Klage nicht erheben; anderenfalls besteht die Möglichkeit, dass er vom Haftpflichtversicherer des Arztes außergerichtlich klaglos gestellt wird (vgl. OLG Stuttgart MDR 1999, 482; OLG Düsseldorf, a.a.O.; Martis/Winkhart, a.a.O., S. 397).
Das rechtliche Interesse kann dem Antragsteller nur abgesprochen werden, wenn es evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH NJW 2004, 3488; OLG Köln NJW-RR 1996, 573 [574]; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1725 [1726]).
Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Soweit das LG auf das Schreiben des Prof. Dr. C. vom 19.2.2007 abgestellt hat, wonach keine Beschwerden bzgl. des Mittelohr-Fremdkörpers bestanden und "aktuell" keine weiteren Maßnahmen empfohlen wurden, mag dies zwar die Erfolgsaussicht einer künftigen Klage der Antragstellerin verringern. Es schließt aber weder den behaupteten Behandlungsfehler noch im Übrigen einen möglichen Schadensersatzanspruch der Antragstellerin aus. Der Umstand, dass auch ein anderer Arzt in einem zeitlichen Abstand von mehr als einem Jahr zunächst keine...