Verfahrensgang
LG Stralsund (Urteil vom 22.11.2000; Aktenzeichen 6 O 463/00) |
Tenor
Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das am 22. November 2000 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stralsund – Az.: 6 O 463/00 – teilweise abgeändert und – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – wie folgt neu gefasst:
Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin ist verpflichtet, das im Hafen von Saßnitz/Rügen liegende Motorschiff „T.” an die Verfügungsbeklagte herauszugeben.
Der Verfügungsklägerin wird bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu DM 500.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, untersagt, die Verfügungsbeklagte in irgendeiner Weise daran zu hindern, von ihr entsandte Mitarbeiter, Repräsentanten, Besichtiger oder Agenten an Bord des Motorschiffes „T.” zu entsenden.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsklägerin 9/10, die Verfügungsbeklagte 1/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Die form- und fristgemäß eingelegte und begründete Berufung der Verfügungsklägerin ist teilweise begründet.
Gegen das auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten ergangene Urteil des Landgerichts ist die Berufung statthaft. Die Berufung findet gemäß § 511 ZPO gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. Gemäß §§ 925 Abs. 1, 936 ZPO ist über den Widerspruch gegen den Beschluss, durch den eine einstweilige Verfügung erlassen wird, durch ein solches Endurteil zu entscheiden (vgl. auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 925 Rn. 11).
Das Urteil des Landgerichts unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung, nicht nur in dem Umfang, in dem der frühere Beschluss durch den Widerspruch des Verfügungsbeklagten angegriffen wurde. Aufgrund des Widerspruchs hat das Gericht so zu entscheiden, als ob es erstmals mit dem Antrag auf einstweilige Verfügung befasst wäre (vgl. Wieczorek/Schütze/Thümmel, ZPO, 3. Aufl. 1995, § 925 Rn. 2). Das Verbot der reformatio in peius gilt deshalb in Bezug auf den Widerspruch nicht. Vielmehr kann der Verfügungskläger seinen ursprünglichen Antrag weiterverfolgen, ggf. verstärken (vgl. Wieczorek/Schütze/Thümmel, a.a.O. Rn. 4) und bei einem zurückweisenden Urteil im zweiten Rechtszug – wie geschehen – in vollem Umfang zur Nachprüfung stellen.
I. Verbot, das Hotelschiff ohne Zustimmung der Berufungsklägerin vor dem 1.11.2001 aus dem Hafen von S. zu entfernen
1. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zugunsten der Verfügungs- und Berufungsklägerin gem. §§ 935, 940 ZPO liegen nicht vor. Die Verfügungsklägerin dringt mit ihrem possessorischen Besitzschutzanspruch gemäß § 861 BGB i.V.m. § 935 ZPO im Ergebnis nicht durch, da sie eine konkrete Gefährdung ihres Besitzes nicht glaubhaft gemacht hat.
Bei den possessorischen Besitzschutzansprüchen der §§ 861, 862 BGB kommt es gemäß § 863 BGB grundsätzlich nicht darauf an, ob der Besitzer zum Besitz berechtigt ist. Der Verfügungsklägerin stünde daher ein Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes zu, wenn ihr dieser Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen worden wäre. Dieser Anspruch könnte auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß §§ 935, 940 ZPO durchgesetzt werden, da in solchen Fällen ipso iure vom Bestehen eines Verfügungsgrundes auszugehen ist (vgl. MünchKomm./Joost, BGB, 3. Aufl. 1997, Rn. 2 und 15 f.). Die Besitzschutzansprüche haben gerade den Sinn, den vor der Besitzstörung bestehenden Zustand umgehend wieder herzustellen. Die Tatsache, dass ein Besitzentzug noch nicht stattgefunden hat und die Verfügungsklägerin somit nicht gemäß § 861 BGB „Wiedereinräumung” des Besitzes verlangen kann, würde einen vorbeugenden Besitzschutz nicht ausschließen. Es ist allgemein anerkannt, dass dem Besitzer auch ein vorbeugender Unterlassungsanspruch zusteht und dieser wiederum im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden kann (sog. „Unterlassungsverfügung”, vgl. dazu Zöller/Vollkommer, ZPO, § 940 Rn. 1; MünchKomm./Joost, a.a.O. Rn. 10). Es muss nicht abgewartet werden, bis sich die drohende Besitzstörung verwirklicht hat. Andernfalls wäre zu befürchten, dass der Besitzschutz leerliefe, weil eine Besitzstörung in Gestalt einer Entfernung des Schiffes aus dem Hafen von S. nicht wieder rückgängig gemacht werden könnte. Voraussetzung eines vorbeugenden Besitzschutzes ist aber, dass die von der Verfügungsklägerin befürchtete Besitzstörung durch die Verfügungsbeklagte hinreichend wahrscheinlich bevorsteht (MünchKomm./Joost, a.a.O. § 862 Rn. 3).
Vorbeugende Unterlassung kann verlangen, wer aus konkretem Anlass künftige Störungen zu befürchten hat, weil solche Störungen z.B. in der Vergangenheit vorkamen oder von dem Störer angekündigt wurden (vgl. Staudinger/Bund [1995] § 862 Rn. 6). Die Verfügungsklägerin hat zwa...