Leitsatz (amtlich)
1. Ausnahmsweise steht der positiven Kenntnis im Rahmen einer Arglist die bloße Erkennbarkeit von aufklärungspflichtigen Tatsachen gleich, wenn sich diese dem Täuschenden nach den Umständen des Einzelfalles aufdrängen mussten. Derjenige ist dann nach Treu und Glauben nicht berechtigt, seine Augen vor solchen Tatsachen zu verschließen. Weigert sich also der Verkäufer einer Immobilie, von sich aufdrängenden Umständen und deren sich ebenfalls aufdrängenden Bedeutung für einen Käufer Kenntnis zu nehmen, muss dies nach den für die Bankenhaftung entwickelten Grundsätzen dem positiven Wissen, dem sich der Verkäufer verschließt, gleichstehen.
2. Zur Zulässigkeit eines Grundurteils bei Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrages.
Normenkette
BGB §§ 346, 434, 437, 440, 444
Verfahrensgang
LG Schwerin (Urteil vom 18.01.2011; Aktenzeichen 3 O 175/09) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Grundurteil des LG Schwerin vom 18.1.2011 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit i.H.v. 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 106.037,31 EUR
Gründe
I. Die Klägerin begehrt vom Beklagten aus eigenem Recht und darüber hinaus in Prozessstandschaft für Herrn Sch. die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über eine Eigentumswohnung nebst Ersatz weiterer Aufwendungen.
Die Klägerin und ihr damaliger Lebensgefährte, Herr Sch., erwarben mit Vertrag vom 9.12.2005, UR-Nr. xxx/2005 des Notars B.-R., die mit Nr. 7 bezeichnete Eigentumswohnung in der A. straße 29, eingetragen im Wohnungseigentumsgrundbuch von S. Blatt 73057, zum Kaufpreis von 90.000 EUR, welche die Käufer im Rahmen eines Mietverhältnisses bereits seit 2000 bewohnten.
Im Rahmen von Verkaufsbemühungen wandte sich die Klägerin u.a. an die Bauordnungsbehörde und musste feststellen, dass für die Wohnungen im Dachgeschoss, zu denen auch die Wohnung Nr. 7 gehört, keine bauordnungsrechtliche Genehmigung vorliegt. Ebenso hatte der Beklagte den zur Wohnung Nr. 7 gehörenden Balkon ohne Baugenehmigung errichtet. Ein entsprechender Bauantrag war mit Bescheid vom 22.2.2000 zurückgewiesen worden.
Mit Schreiben vom 27.3.2009 forderten die Klägerin und Herr Sch. den Beklagten auf, bis zum 15.4.2009 eine bauordnungsrechtliche Genehmigung für die Wohnung und die Balkonanlage herbeizuführen. Der Beklagte teilte hierauf mit Schreiben vom 15.4.2009 mit, dass das Dachgeschoss bereits vor der Wende bewohnt gewesen sei. Er habe lediglich vorhandenen Wohnraum saniert, ohne in die Statik einzugreifen. Wände seien nicht verändert worden. Es seien auch nur vorhandene, stark sanierungsbedürftige Balkone erneuert worden, wofür von der ausführenden Firma eine Statik vorgelegen habe.
Am 17.4.2009 erklärten die Käufer gegenüber dem Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag und machten Schadensersatzforderungen geltend. Der Beklagte wurde aufgefordert, den Kaufpreis bis zum 25.4.2009 zurückzuzahlen. Sie boten an, die notarielle Erklärung für die Rückübertragung des Wohneigentums abzugeben.
Am 22.6.2009 erteilte die Stadt S. der Klägerin eine Nutzungsuntersagung. Am 31.7.2009 teilte die Stadt S. mit, dass die Nutzungsuntersagung hinsichtlich der Balkonanlage aufgehoben worden sei. Auf Antrag des Beklagten vom 30.6.2009 hat die Stadt S. am 23.9.2009 für den Umbau und die Nutzungsänderung der Wohnung Nr. 7 eine Baugenehmigung mit Auflagen erteilt. Zwischenzeitlich hat der Beklagte den Bauantrag für die Wohnung Nr. 7 zurückgenommen.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Beklagte habe das Fehlen der Baugenehmigung als Sachmangel bei Vertragsschluss arglistig verschwiegen. Daher greife der im Vertrag bestimmte Haftungsausschluss nicht. Der Ausbau der Wohnungen sei im Jahr 2000 durch den Beklagten erfolgt, auch sei die Wohnung zuvor nicht mit einem Balkon versehen gewesen. Das Dachgeschoss sei vor der Wende nicht bewohnt gewesen. Eine Genehmigung zur Wohnnutzung der Wohnung Nr. 7 habe seit Errichtung des Hauses um 1906 nie vorgelegen. Der Beklagte habe die Wohnung aus einem Trockenboden und drei Bodenkammern errichtet, hierzu die Wände verändert und folglich in die Statik eingegriffen. Er habe in den Trockenboden ein weiteres Fenster eingebaut, ein vorhandenes zu einer Balkontür umgestaltet und ein weiteres großes Dachflächenfenster eingebaut. Die Genehmigung für die Errichtung der Balkonanlage habe der Beklagte 1999 beantragt, welche jedoch unstreitig abgelehnt worden ist.
In Kenntnis der Umstände hätten die Klägerin und Herr Sch. die Wohnung 2005 nicht erworben. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte gewusst habe, dass Baugenehmigungen nicht vorliegen, aber notwendig wären. Dass sich der Beklagte bei Kaufvertragsab...