Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozesskostenhilfe für den Antrag eines Kindes auf Umgang mit dem unwilligen Elternteil

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Antrag des Kindes auf Umgang mit einem unwilligen Elternteil ist auch nach der Entscheidung des BVerfG vom 1.4.2008, Aktenzeichen: 1 BvR 1620/04, nicht mutwillig.

2. Prozesskostenhilfe für ein Umgangsverfahren kann wegen Mutwilligkeit verweigert werden, wenn der Antragsteller sich nicht zuvor um Vermittlung durch das Jugendamt bemüht hat.

BVerfG, Beschluss vom 1.4.2008, Az: 1 BvR 1620/04, FamRZ 2008, 845-853, BGH FamRZ 2008, 1334 f.; OLG Schleswig, Beschluss vom 4.10.2007, Az: 15 WF 261/07, OLGReport Schleswig 2008, 107-108; OLG Brandenburg, FamRZ 2003, 1760; OLG Düsseldorf, FamRZ 1998, 758; OLG Hamm, FamRZ 2007, 1337; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 1115-1116.

 

Normenkette

ZPO § 114; BGB § 1684 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Biberach (Beschluss vom 13.02.2008; Aktenzeichen 4 F 28/08)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG, FamG, Biberach vom 13.2.2008 abgeändert.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug ohne Anordnung einer Ratenzahlung bewilligt.

Ihm wird Rechtsanwältin ...,..., beigeordnet.

Eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird nicht erhoben; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Der 15-jährige Antragsteller ist der Sohn der Antragsgegnerin und lebt bei seinem Vater, dem geschiedenen Ehemann der Mutter, die wieder verheiratet ist. Der Antragsteller ist als Folge spastischer Lähmungen schwer behindert (Behinderungsgrad 90 %). Er möchte regelmäßigen Wochenend- und Ferienumgang mit seiner Mutter, die im 200 km entfernten ... lebt und vollschichtig erwerbstätig ist.

Ohne Einschaltung des Jugendamtes beantragte das Kind folgenden Umgang:

14-tägig ab Freitag 18h bis Sonntag 18h, jeweils am 2. Feiertag von Weihnachten, Ostern, Pfingsten von 9h bis 18 h das erste Ferienwoche in den Weihnachts-, Oster- und Pfingstferien 2 Wochen in den Sommerferien

Ausfallsregelung für den Krankheitsfall.

Die Mutter sieht keine Notwendigkeit für eine gerichtliche Umgangsregelung. Sie besuche das Kind regelmäßig, könne allerdings wegen der weiten Entfernung, der damit verbundenen Kosten und ihrer vollschichtigen Erwerbstätigkeit keinen Wochenendumgang wahrnehmen. Außerdem müsse sie sich um ihre krebskranke Mutter kümmern.

Durch Beschluss vom 13.2.2008 lehnte das FamG den Antrag des Kindes auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen Mutwilligkeit ab. Es liege kein Regelungsinteresse vor, da der Umgang regelmäßig stattfinde. Zudem sei der Antragsteller verpflichtet gewesen, vor Einleitung des Umgangsverfahrens die Vermittlung durch das Jugendamt in Anspruch zu nehmen.

Der Antragsteller legte hiergegen sofortige Beschwerde ein und zahlte 50 EUR als Vorschuss. Schon 2006 habe das Jugendamt vermittelt. Die damals erzielte Regelung sei von der Mutter nie eingehalten worden.

In der mündlichen Verhandlung vom 20.3.2008 einigten sich die Eltern auf die Regelung eines Ferienumgangs für 2008.

II. Die gem. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den ihm die beantragte Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des AG Biberach vom 13.2.2008 hat Erfolg.

Der Umgang war bisher nicht verbindlich geregelt und hat in der Vergangenheit teilweise unregelmäßig stattgefunden. Das Anliegen des Antragstellers ist daher gerechtfertigt.

Ein Regelungsbedürfnis entfällt auch nicht als Folge der Entscheidung des BVerfG, nach der ein Umgang mit dem Kind, der nur mit Zwangsmitteln gegen seinen umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden kann, in der Regel nicht dem Kindeswohl dient und daher der durch die Zwangsmittelandrohung bewirkte Eingriff in das Grundrecht des Elternteils auf Schutz der Persönlichkeit nicht gerechtfertigt ist, sofern nicht hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sind, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen wird (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 845-853). Die Einleitung eines Umgangsverfahrens durch das Kind wegen der Umgangspflicht der Mutter greift als solche noch nicht in deren Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Erst eine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht oder deren Androhung ist - so der BGH - geeignet, in unzulässiger Weise in die verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit der Antragsgegnerin einzugreifen (vgl. BGH FamRZ 2008, 1334 f.)

Die weitere Frage, ob die Verweigerung der Prozesskostenhilfe auf eine unterbliebene Beratung durch das Jugendamt gestützt werden kann, ist umstritten. Nach einer Auffassung kann ein Prozesskostenhilfegesuch für ein gerichtliches Umgangsrechtsverfahren mutwillig sein, wenn der Antragsteller nicht zuvor versucht hat, das erstrebte Umgangsrecht ohne Inanspruchnahme des Gerichtes mit Hilfe des Jugendamtes zu regeln. Es sei nicht hinzunehmen, dass Einigungsversuche über die Prozesskostenhilfe als besondere Form der Sozialh...

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