Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Bestimmung einer angemessenen Barabfindung für nach §§ 327a ff. AktG ausgeschlossenen Aktionären sind die Gerichte weder gehalten noch daran gehindert, im Laufe eines Spruchverfahrens geänderte Bewertungsgrundsätze des Instituts der Wirtschaftsprüfer zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) als neuere Erkenntnisquellen für künftige Entwicklungen aus der Sicht des Bewertungsstichtags ergänzend heranzuziehen.
2. Bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes, mit dem im Rahmen der Ertragswertmethode zukünftige Erträge diskontiert werden, geht der Senat aufgrund richterlicher Schätzung nach § 287 ZPO nach derzeitigem Erkenntnisstand von einer Marktrisikoprämie von 4,5 % aus. Angesichts zahlreicher allgemein zugänglicher rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Veröffentlichungen ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den in den Kapitalisierungszinssatz einfließenden Parametern Basiszinssatz und Marktrisikoprämie nicht zwingend geboten.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 34 AktE 19/02 KfH) |
Tenor
1. Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsteller Ziff. 1, Ziff. 2, Ziff. 6, Ziff. 7, Ziff. 8 und Ziff. 9 wird der Beschluss des LG Stuttgart vom 23.6.2005 (34 AktE 19/02 KfH) abgeändert.
2. Die den aufgrund des Übertragungsbeschlusses in der ordentlichen Hauptversammlung der X. AG, F. vom 15.8.2002 ausgeschiedenen Aktionären der X. AG zu gewährende angemessene Barabfindung wird festgesetzt auf insgesamt 5,38 EUR (5,29 EUR nach dem Beschluss vom 15.8.2002 sowie weitere 0,09 EUR) für jede Aktie zzgl. Zinsen i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 2.10.2002.
3. Die Antragsgegnerin trägt die in beiden Instanzen entstandenen Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in erster Instanz. Außergerichtliche Kosten der Beschwerdeführer in zweiter Instanz hat die Antragsgegnerin zur Hälfte zu erstatten.
4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im Spruchverfahren um die Angemessenheit der Barabfindung der gem. §§ 327a ff. AktG durch Hauptversammlungsbeschluss vom 15.8.2002 aus der X. AG ausgeschlossenen und mit einem Betrag von 5,29 EUR je Stückaktie abgefundenen Minderheitsaktionäre.
1. Die X. AG befasst sich mit der Entwicklung, der Realisierung und dem Vertrieb von Bedienkonzepten, grafischen Benutzeroberflächen und Software für Car-PC-Systeme für Kunden aus der Automobilindustrie. Die 1990 als GmbH gegründete Gesellschaft wurde im Jahr 2000 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt (Eintragung im Handelsregister 25.5.2000), die Aktien waren seit 21.7.2000 am Neuen Markt und ab 1.7.2002 am Geregelten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse notiert. Das Grundkapital zum 15.8.2002 betrug 9.170.000 EUR, von 9.170.000 Stückaktien hielten Minderheitsaktionäre 401.484 Aktien, die übrigen 8.768.516 Aktien (= 95,62 %) hielt die Antragsgegnerin als Mehrheitsaktionärin (teilweise direkt, teilweise mittelbar über die A. & B. Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH).
Zwei in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 gegründete Tochtergesellschaften, die X. Inc. D., M. und die X. K. K., T., hatten zum Ende des Geschäftsjahres 2001 ihre operative Tätigkeit eingestellt und bestehen nur als Mantelgesellschaften ohne Mitarbeiter fort. Die I. AG, eine weitere 100%ige Tochtergesellschaft, wurde im Juni 2002 auf die X. AG verschmolzen. Am 6.11.2001 schloss die Antragsgegnerin mit der X. AG und deren Tochtergesellschaft I. AG einen Kooperationsvertrag; hierdurch wurden die Personalkapazitäten für Eigenentwicklungs- und Vertriebstätigkeiten nicht mehr selbst genutzt, sondern Dritten, im Wesentlichen der Antragsgegnerin, gegen Entgelt zur Verfügung gestellt.
Nachdem die Antragsgegnerin im Januar 2002 ihre Beteiligung an der X. AG auf 77,46 % erhöht hatte, unterbreitete sie am 1.3.2002 den übrigen Aktionären ein Pflichtangebot mit einem Übernahmepreis von 5,29 EUR je Stückaktie. Nach Ablauf der Annahmefrist hatte sich die Beteiligung der Antragsgegnerin auf insgesamt 95,09 % und danach auf 95,62 % erhöht. In ihrem Bericht vom 2.7.2002 hat die Antragsgegnerin auf der der Grundlage einer von der Wirtschaftsprüfergesellschaft Dr. E., Dr. S. & Partner vorgenommenen Unternehmensbewertung eine Abfindung von 5,29 EUR je Stückaktie festgelegt. Mit Prüfbericht vom 2.7.2002 hat die gerichtliche bestellte Prüferin B. Aktiengesellschaft den Abfindungsbetrag als angemessen bestätigt. Der auf der Hauptversammlung vom 15.8.2002 gefasste Beschluss zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen Zahlung einer Abfindung von 5,29 EUR wurde am 1.10.2002 im Handelsregister eingetragen und am 11.10.2002 im Bundesanzeiger veröffentlicht (Bl. 5).
Im Rahmen des beabsichtigten Ausschlusses der Minderheitsaktionäre wurden die aufgrund eines im Juli 2000 beschlossenen Aktienoptionsplanes und frühestens zum 28.8.2003 ausübbaren Bezugsrechte von Arbeitnehmern und Mitgliedern der Geschäftsführung mit einem Betrag von 2,17 EUR j...