Leitsatz (amtlich)
1. Zur Haftung auf Schadensersatz dem Grunde nach wegen Beteiligung am LKW-Kartell
2. Der wirtschaftliche Erfahrungssatz, dass ein Kartell gebildet und erhalten wird, weil es höhere als am Markt erzielbare Preise erbringt, und die hieraus resultierende Wahrscheinlichkeit, dass den Abnehmern der Kartellanten hierdurch ein Schaden verursacht wird (tatsächliche Vermutung), besteht auch bei einem Kartell, das dem Informationsaustausch über Bruttopreise dient.
3. Setzt der Geschädigte die kartellbetroffenen Fahrzeuge, die er vom Kartellanten erworben hat, zur Erbringung von Bauleistungen ein und wendet der Kartellant ein, der Geschädigte habe etwaige aufgrund des Kartells überhöhte Einkaufspreise auf die nachgelagerte Absatzstufe abgewälzt, kommt eine sekundäre Darlegungslast des Geschädigten, aufgrund derer er seine Preiskalkulation offenlegen müsste, regelmäßig nicht in Betracht.
4. Die Verjährungshemmung gemäß § 33 Abs. 5 GWB (2005) beginnt bereits mit der Vornahme von Ermitt-lungsmaßnahmen, die gegen bestimmte Unternehmen gerichtet sind, nicht erst mit der formellen Verfahrenseröffnung.
Normenkette
AEUV Art. 101; EGV Art. 81, 85; GWB § 33
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 30.04.2018; Aktenzeichen 45 O 1/17) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30.04.2018, Az. 45 O 1/17, abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin Schadensersatz i.H.v. 28.567,66 EUR und Zinsen i.H.v. 34.255,41 EUR aus dem Kauf eines Sattelschlepperfahrgestells "M. 1840 LS 4x24", Fahrgestellnummer WDB...92, am 22.08.1997 begehrt.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Klage auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten wird als unzulässig abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
5. Dieses Urteil und das landgerichtliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
6. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 304.703,45 EUR
Gründe
I. 1. Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche geltend wegen kartellrechtswidriger Absprachen der Beklagten.
Die Klägerin ist die Konzernmutter der H. GmbH & Co.KG (im Folgenden: Fa. H.) sowie der B. GmbH & Co.KG (im Folgenden: Fa. B.). Die Klägerin und ihre Töchter sind im Bausektor tätig.
Die Fa. H. kaufte in den Jahren 1997 bis 2010 insgesamt 11 Fahrgestelle von der Beklagten, davon sieben in den Jahren 1997 bis 2000 und 4 im Jahr 2010. Am 14.10.2011 kaufte auch die Fa. B. ein Fahrgestell von der Beklagten. Außerdem erwarb die Fa. B. auch eines der oben erwähnten Fahrzeuge, die die Fa. H. ursprünglich von der Beklagten erworben hatte, nämlich das in der nachfolgenden Liste unter der laufenden Nummer 1 aufgelistete Fahrzeug. Hinsichtlich dieses Fahrzeugs macht die Klägerin sowohl den Schaden der Fa. H. als auch den Schaden der Fa. B. geltend. Die näheren Einzelheiten zu dem jeweiligen Kauf von der Beklagten ergeben sich aus der folgenden tabellarischen Auflistung:
Nr. |
FIN |
Typ |
Fahrzeugart |
Rechnungsdatum |
Kaufpreis netto |
1 |
WDB...06 |
Betonmischerfahrgestell |
M. 3235 B 8x4 |
19.11.1998 |
76.796,04 EUR |
2 |
WDB...92 |
Sattelschlepperfahrgestell |
M. 1840 LS 4x24 |
22.08.1997 |
60.842,47 EUR |
3 |
SDB...42 |
Kipperfahrgestell |
M. 3340 AK 6x6 |
23.05.2000 |
93.208,51 EUR |
4 |
WDB...59 |
Kipperfahrgestell |
M. 3340 AK 6x6 |
31.05.2000 |
93.285,20 EUR |
5 |
WDB...43 |
Sattelschlepperfahrgestell |
M. 1840 LS 4x2 |
08.07.1998 |
70.558,28 EUR |
6 |
WDB...27 |
Sattelschlepperfahrgestell |
M. 1840 LS 4x2 |
08.07.1998 |
70.558,28 EUR |
7 |
WDB...38 |
Sattelschlepperfahrgestell |
M. 1840 LS 4x2 |
22.07.1998 |
70.558,28 EUR |
8 |
WDB...56 |
Sattelschlepperfahrgestell |
M. 1844 LS 4x2 |
29.04.2010 |
78.665,00 EUR |
9 |
WDB...84 |
Sattelschlepperfahrgestell |
M. 1844 LS 4x2 |
29.04.2010 |
78.650,00 EUR |
10 |
WDB...85 |
Sattelschlepperfahrgestell |
M. 1844 LS 4x2 |
29.04.2010 |
78.650,00 EUR |
11 |
WDB...86 |
Sattelschlepperfahrgestell |
M. 1844 LS 4x2 |
29.04.2010 |
78.650,00 EUR |
12 |
WDB...62 |
Pritschenfahrgestell |
M. 1829 L 4x2 |
14.10.2011 |
88.903,04 EUR |
In den Jahren 1997 bis 2011 bildeten mehrere LKW-Hersteller ein Kartell. Beteiligt waren alle führenden LKW-Hersteller, namentlich M., V./R., die Beklagte, I. und D. Das Kartellverfahren endete im Juli 2016 mit einem Vergleich und der Verhängung von Bußgeldern gegen die Beklagte, V./R., I.-M. und D.; gegen M. wurde kein Bußgeld festgelegt, weil M. den Sachverhalt als Kronzeuge offengelegt hatte (Case AT.39824 - TRUCKS; Kommissionsbeschluss vom 19.07.2016, Anlage GL4). Gegen S. wird noch ermittelt.
Für die Dauer des Kartells tauschten die Kartellanten die Bruttolistenpreise aus. Außerdem tauschten sie auch Informationen zur Einführung von Abgastechnologien und deren Preise aus.
Am 01.03.2017 traten die Fa. H. und die Fa. ...