Leitsatz (amtlich)
1. Der Auskunftsanspruch eines Aktionärs erstreckt sich nach § 131 Abs. 1 S. 2 AktG auch im faktischen Konzern auf die vertraglichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu ihrer Mehrheitsaktionärin. Die Vorschriften über den Abhängigkeitsbericht nach §§ 312 ff. AktG verdrängen diesen Auskunftsanspruch nicht.
2. Der Auskunftsanspruch ist nicht verletzt, wenn der Aktionär allgemein eine Auskunft über den Inhalt eines Vertrags verlangt, der Vorstand danach mit einer allgemeinen Darstellung des Vertragsgegenstands und der Gegenleistung ohne Angabe bestimmter Details oder Zahlen antwortet und daraufhin der Aktionär ohne ergänzende Fragen zur Konkretisierung seines Auskunftsverlangens lediglich zu Protokoll gibt, seine Frage sei nicht ausreichend beantwortet.
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 29.01.2004; Aktenzeichen 21 O 115/03) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 21. Kammer für Handelssachen des LG Tübingen vom 29.1.2004 - 21 O 115/03 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheit i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Vertrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Streitwert: 50.000 Euro.
Gründe
I. Der Kläger ist Aktionär der Beklagten. Er macht geltend, Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.5.2003 über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat seien nichtig, weil Fragen zu den vertraglichen Beziehungen der Beklagten zu ihrer mit 82,32 % beteiligten Mehrheitsaktionärin, der M. AG, auf der Hauptversammlung nicht ausreichend beantwortet worden seien.
Zur Hauptversammlung begehrte ein Herr A. unter Vorlage von Eintrittskarten Einlass. Die Eintrittskarten waren teils auf seinen Namen ausgestellt, teils auf den Namen anderer Aktionäre, die Herrn A. auf der Rückseite der Eintrittskarte formularmäßig die Vollmacht erteilt hatten, sie auf der Hauptversammlung zu vertreten und das Stimmrecht - soweit gegeben - auszuüben. Herr A. begehrte auch Einlass im Namen des Klägers, konnte aber keine Eintrittskarte mit Vollmacht vorweisen; er gab an, die Eintrittskarte sei abhanden gekommen. Nachdem Herr A. vom Kläger per Fax eine Vollmacht übermittelt bekommen hatte, wurde ihm auch für den Kläger eine Stimmkarte ausgehändigt. Streitig ist, ob dies unter dem Vorbehalt geschah, dass eine schriftliche Bevollmächtigung durch Vorlage der Originalvollmacht nachträglich belegt werde.
Gegenstand der Generalaussprache zu allen Punkten der Tagesordnung waren u.a. der Abhängigkeitsbericht und die vertraglichen und außervertraglichen Beziehungen der Beklagten zur Mehrheitsaktionärin. Dabei ergriff u.a. Herr B. als Aktionärsvertreter das Wort. Er meldete Zweifel an der Erklärung des Vorstands im Abhängigkeitsbericht und an dessen Prüfung und Billigung durch den Aufsichtsrat an. Fragen nach Inhalt oder Wortlaut einer "Cash-Pol-Vereinbarung" beantwortete der Vorstand nicht, er gab an, diese Vereinbarung bestehe nicht mehr. Auf die Frage nach den aktuellen Verträgen zwischen der Beklagten und der Mehrheitsaktionärin gab der Vorstand an, dass es sich um ein Service-Agreement handele, das jährlich neu abgeschlossen werde, und um zwei weitere Kooperationsverträge, die die gegenseitigen Beziehungen regelten und im Jahr 2002 neu gefasst worden seien.
Der Aktionärsvertreter B. erklärte daraufhin folgende Fragen zur Niederschrift des Notars:
1. Welchen Inhalt hat das Service-Agreement zwischen der Gesellschaft und ihrer Obergesellschaft, das jährlich neu abgeschlossen wird?
2. Welchen Inhalt haben die beiden anderen Kooperationsverträge zwischen der Gesellschaft und ihrer Obergesellschaft, die die gegenseitigen Beziehungen regeln und nach Angaben des Vorstandes im Jahr 2002 neu gefasst wurden?
3. Hilfsweise für beide vorhergehenden Fragen:
Welchen wesentlichen Inhalt haben die vorstehend unter 1. und 2. genannten Fragen.
Dazu gab der Vorstand der Beklagten folgende Antworten zur Niederschrift:
Zu 1.:
Inhalt des Service-Agreement ist die Erbringung von zentralen Dienstleistungen auf dem Gebiet des Rechnungswesens, der Gehaltsabrechnung, der Benutzung gemeinsamer Datenverarbeitungsanlagen, der Fuhrparks- und Gebäudeverwaltung, der Entwicklung neuer gemeinsam benutzter EDV-Systeme und gemeinsamer Investor-Relation-Leistungen (Unternehmenskommunikation) zu Preisen, die den OECD-Richtlinien zu Konzernverrechnungspreisen entsprechen und die im Wesentlichen den Ersatz der für die Erbringung dieser Dienstleistungen anfallenden Einzelkosten enthalten.
Zu 2.:
Bei dem ersten der beiden Kooperationsverträge handelt es sich um einen Rahmenmietvertrag über sämtliche von dieser Gesellschaft genutzten Trainingszentren bzw. für Räume der in der Verwaltung tätigen Mitarbeiter zu Preisen, die im Wesentlichen den Gestehungskosten der M. mit Sitz in X. entsprechen.
Bei dem zweiten der beiden Kooperationsvertr...