Leitsatz (amtlich)
1. Deliktische Ansprüche von Besitzern eines Fahrzeugs mit dem Motor EA189 gegen dessen Herstellerin haben in der Regel mit Ablauf des Jahres 2015 zu verjähren begonnen, weil das Unterlassen der Einholung einer Auskunft über die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs bei der Motorenherstellerin im Jahr 2015 angesichts der öffentlich verbreiteten Informationen des Kraftfahrtbundesamts und der Motorenherstellerin im Zweifel grob fahrlässig war. Danach sind solche Ansprüche mit Ablauf der 31.12.2018 verjährt.
2. Beruft sich ein Kläger auf eine Verjährungshemmung wegen des Beitritts zu einem Musterfeststellungsverfahren, hat er auf das Bestreiten des Beklagten den konkreten Beitrittstermin zu benennen und ggf. zu belegen.
Normenkette
BGB §§ 195, 199, 204 Abs. 1 Nr. 1a, § 823 Abs. 2, § 826
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 17.09.2019; Aktenzeichen 15 O 217/19) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17.09.2019, Az. 15 O 217/19, wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17.09.2019, Az. 15 O 217/19 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 38.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Kraftfahrzeugs.
1. Der Kläger kaufte am 01.11.2012 bei einer Privatperson ein gebrauchtes Kraftfahrzeug Modell Audi Q5, 2,0 l TDI zu einem Kaufpreis von 38.500,00 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 (EU 5), der vom sogenannten Abgasskandal betroffen ist, ausgestattet. Der Kläger verlangt von der Beklagten, der Herstellerin des Motors, Schadensersatz. Am 9. März 2020, also einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 116.958 km auf.
Für das Fahrzeugmodell lag zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagte wie zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger eine EG-Typgenehmigung vor. Die Motorsteuergerätesoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung; diese erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Die Software weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf. Im NEFZ schaltet sie in den Modus 1, in dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und zu einem verminderten Ausstoß von Stickoxiden (NOx) kommt. Außerhalb des NEFZ wird das Fahrzeug im Modus 0 betrieben.
Mitte Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf von 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen an und vertrat die Auffassung, dass es sich bei der in den Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Es ordnete an, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen.
Mit verschiedenen zwischen dem 27.01.2016 und dem 20.12.2016 erteilten Bestätigungen hat das KBA sämtliche betroffenen Fahrzeug- und Motorvarianten, darunter auch den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp, unter der Auflage freigegeben, dass ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update der Motorsteuerungsgerätesoftware installiert wird. Das Software-Update wurde bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug durchgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
2. Das Landgericht hat der auf Schadensersatz in Form der Zahlung von 38.500,00 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen hieraus Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie von weiteren Zinsen aus 38.500,00 EUR in Höhe von 4 % jährlich seit dem 01.11.2012 bis zum Beginn der Rechtshängigkeit, auf Zahlung außergerichtlicher Anwaltskosten und auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs gerichteten Klage teilweise stattgegeben. Die Beklagte wurde zur Zahlung von 24.202,26 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen hieraus Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie Zahlung weiterer Zinsen i.H.v. 4 % jährlich vom 01.11.2012 bis zum 20.05.2019 aus 3.850,00 EUR an den Kläger verurteilt. Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten wurden zugesprochen i.H. von 1.242,84 EUR. Ferner wurde festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
Zur Begr...