Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 21.12.2020; Aktenzeichen 2 O 255/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.12.2020, Az. 2 O 255/20, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs XY (1968 ccm / 103 kW / 140 PS) mit der Fahrgestellnummer: ... an die Klagepartei 10.070,82 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.8.2020 zu zahlen.
b. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziff. 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
c. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung i.H.v. 958,19 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.8.2020 zu zahlen.
d. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz trägt der Kläger zu 13 %, die Beklagte zu 87 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner kann die Vollstreckung durch den Gläubiger abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages erbringt.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis 13.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Motors.
Der Kläger kaufte am 15.5.2013 bei der Fa. H. in W. einen gebrauchten PKW XY zum Preis von 20.890,00 EUR. Das Fahrzeug wies bei Vertragsschluss eine Laufleistung von 30.490 km auf. Es ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 (EU 5), der vom sogenannten Abgasskandal betroffen ist, ausgestattet.
Für das Fahrzeugmodell lag zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagte wie zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger eine EG-Typgenehmigung vor. Die Motorsteuergerätesoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung; diese erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Die Software weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf. Im NEFZ schaltet sie in den Modus 1, in dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und zu einem verminderten Ausstoß von Stickoxiden (NOx) kommt. Außerhalb des NEFZ wird das Fahrzeug im Modus 0 betrieben.
Mitte Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf von 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen an und vertrat die Auffassung, dass es sich bei der in den Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Es ordnete an, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Mit verschiedenen zwischen dem 27. Januar 2016 und dem 20. Dezember 2016 erteilten Bestätigungen hat das KBA sämtliche betroffenen Fahrzeug- und Motorvarianten unter der Auflage freigegeben, dass ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update der Motorsteuerungsgerätesoftware installiert wird. Der Kläger erhielt im Februar 2016 ein Schreiben der Beklagten und ließ am 11.04.2017 das Software-Update aufspielen.
Am 22.09.2015 gab die Beklagte eine ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG sowie eine gleichlautende Presseerklärung heraus, die auf die "Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren" und auf Abweichungen zwischen den Prüfstandswerten und dem realen Fahrbetrieb hinwies. Anfang Oktober 2015 schalteten die Beklagte eine Website frei, auf welcher durch Eingabe der FIN die konkrete Betroffenheit eines Fahrzeuges von der sog. Umschaltsoftware geprüft werden konnte. Darüber informierte die Beklagte am 02.10.2015 mittels Pressemitteilung; zahlreiche Medien berichteten darüber. Darüber hinaus informierte die Beklagte die Öffentlichkeit und den Handel seit Ende September über die Umschaltlogik in ...-Motoren. Seit September 2015 berichten die Medien über den "Abgasskandal".
Der Kläger schloss sich dem Musterfeststellungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig (4 MK 1/18) am 29.8.2018 (LGA 296) an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage weitgehend stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 10.218,79 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.8.2020, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs, und zur Zahlung von Finanzierungskosten in Höhe der eingeklagten 1.336,72 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basi...