Entscheidungsstichwort (Thema)
LKW-Kartell
Leitsatz (amtlich)
1. Im Kartellschadensersatzprozess liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils nur vor, wenn aufgrund einer Gesamtwürdigung von der Wahrscheinlichkeit eines Schadens in irgendeiner Höhe auszugehen ist. Ökonometrische Gutachten, die mit einer Regressionsanalyse zu dem Ergebnis kommen, dass eine kartellbedingte Preiserhöhung nicht nachweisbar ist, stellen einen zu berücksichtigenden Umstand mit indizieller Bedeutung dar. Muss im Grundverfahren ein Gutachten zur Richtigkeit des ökonometrischen Gutachtens und im Betragsverfahren ein weiteres ökonometrisches Gutachten zu der Frage, in welcher Höhe ein Schaden tatsächlich entstanden ist, eingeholt werden, ist der Erlass eines Grundurteils nicht prozesswirtschaftlich.
2. Ein erstinstanzliches Grundurteil kann auch dann aufgehoben werden, wenn das ökonometrische Gutachten erst im Berufungsverfahren vorgelegt wurde. Auf Antrag einer Partei kann das Verfahren an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen werden.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 30 O 30/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Stuttgart vom 25.07.2019 aufgehoben, soweit es die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat. Insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.
II. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem erstinstanzlichen Gericht vorbehalten.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 563.866,06 Euro
Gründe
A Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen kartellrechtswidriger Absprachen geltend.
Wegen des Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts verwiesen. Zusammenfassend: Die Beklagte produziert und vermarktet Lastkraftwagen (LKW) unter der Marke Iveco. Mit - auf einem Vergleich (Settlement) mit den Betroffenen beruhenden - Beschluss vom 19. Juli 2016 (AT.39824) stellte die Europäische Kommission fest, dass die Beklagte und weitere LKW-Hersteller, u.a. MAN, Daimler, Volvo/Renault und DAF, durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere (zwischen 6 und 16 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht) und schwere Lastkraftwagen (über 16 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht) sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 gegen Artikel 101 AEUV und Artikel 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Für die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte und vom 17. Januar 1997 - unter Beteiligung der Beklagten ab dem 26. Juni 2001 - bis zum 18. Januar 2011 andauerte, verhängte die Kommission gegen die Beklagte ein Bußgeld von rund 494 Mio. Euro.
Die Klägerin ist Muttergesellschaft von Unternehmen, die in der Bau- und Logistikbranche tätig sind. Die Tochtergesellschaften haben, soweit noch im Berufungsverfahren anhängig, zwischen März 2003 und April 2005 mit in Deutschland ansässigen Autohäusern Kauf- bzw. Leasingverträge über insgesamt 23 von der Beklagten hergestellte Lastkraftwagen abgeschlossen (Nr. 1 bis 5, 7 bis 24 der Anlage K 251). Wegen dieser Fahrzeuge macht die Klägerin Schadensersatz wegen einer Preisüberhöhung und wegen überhöhter Haftpflichtversicherungsprämien in einer in das gerichtliche Ermessen gestellten Höhe geltend, mindestens jedoch 563.866,06 Euro (erstinstanzlicher Klageantrag Ziff. 1 abzgl. der auf den Iveco Euro Cargo gem. Anlage K 4 entfallenden Beträge). Weiter verlangt die Klägerin Zinsen, die sie allein für die Zeit bis Ende 2016 mit rund 290.000,00 Euro beziffert.
Das Landgericht hat mit seinem Grund- und Teilurteil vom 25. Juli 2019 die Klage für die noch im Berufungsverfahren anhängigen Beschaffungsvorgänge dem Grunde nach - einschließlich Zinsen - für gerechtfertigt erklärt. In einem Ergänzungsurteil hat es klargestellt, dass auch die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten hiervon umfasst sind. Gegen all dies richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlich gehaltenen Vortrag. Weiter trägt sie vor, dass entsprechend einer Analyse von C. ein Schadenseintritt nicht festgestellt werden könne.
Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,
das angefochtene Grund- und Teilurteil des Landgerichts Stuttgart (Az. 30 O 30/18) vom 25. Juli 2019 dahingehend abzuändern, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vortrags wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
B Da die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils nicht vorliegen, ist das Urteil des Landgerichts auf den Antrag der Beklagten insoweit aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 538 Absatz 2 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuweisen. Es liegen zwar alle tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten auf ...