Leitsatz (amtlich)
1. Auch eine geringgradige Fehlsichtigkeit ist mit Blick auf die bestehenede Korrekturbedürftigkeit eine Krankheit i.S.v. § 1 Abs. 1 MB/KK.
2. Ein refraktiver Linsenaustausch stellt sich auch bei nur geringgradiger Fehlsichtigkeit als medizinisch notwendige Heilbehandlung nach § 1 Abs. 2 MB/KK dar. Liegen Kontraindikationen nicht vor, kann eine Indikation allenfalls dann verneint werden, wenn Risiken und Nebenwirkungen so hoch wären, dass sie bereits aus objektiver Sicht die Vornahme des Linsenaustauschs beim Kläger ausschließen würden.
Normenkette
MB/KK § 1
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 27.06.2018; Aktenzeichen 22 O 63/17) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27.06.2018, Az. 22 O 63/17, abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.598,42 EUR sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 5.598,42 EUR.
Gründe:
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. §§ 313 a Abs. 1 ZPO; 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung erweist sich als überwiegend begründet, lediglich hinsichtlich eines Teils der geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als unbegründet.
Die Operationen vom 13.12.2016 und 15.12.2016 stellen sich entgegen der Auffassung des Landgerichts als medizinisch notwendige Heilbehandlungen im Sinne der Versicherungsbedingungen dar, so dass der Kläger aufgrund der Krankheitskostenversicherung Erstattung der mit der Klage geltend gemachten Kosten in Höhe von 5.598,42 EUR verlangen kann.
Nach § 1 Abs. 1 lit. a MB/KK 2009 bietet der Beklagte Versicherungsschutz für Krankheiten und gewährt im Versicherungsfall Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Nach § 1 Abs. 2 MB/KK 2009 ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen.
Der insoweit beweisbelastete Kläger hat vorliegend den Nachweis eines Versicherungsfalles geführt, weil es sich bei seiner Fehlsichtigkeit um eine Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen (1.) und beim refraktiven Linsenaustausch um eine Heilbehandlung handelt (2.), die medizinisch notwendig war (3.).
1. Die Fehlsichtigkeit des Klägers ist eine "Krankheit" im Sinne der Versicherungsbedingungen.
a) Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 29.03.2017 (Az.: IV ZR 533/15 -, VersR 2017, 608, Tz. 11, 14, zu einer Lsik-Operation) klargestellt, dass bei Fehlsichtigkeit das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit nicht mit dem Argument verneint werden kann, dass sie auf einem natürlichen Alterungsprozess beruht und bei 30-40 % der Menschen im mittleren Alter auftritt. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, auf dessen Verständnismöglichkeiten es bei der Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen ankommt, wird davon ausgehen, zum Normalzustand der Sehfähigkeit gehöre ein beschwerdefreies Lesen und eine gefahrenfreie Teilnahme am Straßenverkehr; er wird das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit annehmen, wenn bei ihm eine nicht nur ganz geringfügige Beeinträchtigung dieser körperlichen Normalfunktion vorliegt, die ohne Korrektur ein beschwerdefreies Sehen nicht ermöglicht (BGH a.a.O., Tz. 12, 15 mwN). Die Korrekturbedürftigkeit eines Zustands, der ohne seine Beseitigung oder die Anwendung von Hilfsmitteln wie Brille oder Kontaktlinsen die genannten Einschränkungen im täglichen Leben mit sich bringt, steht aus medizinischer Sicht außer Frage (BGH, a.a.O., Tz. 16).
Bei der Beurteilung, ob eine Krankheit in diesem Sinne vorliegt, darf entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht an der (ausschließlichen) Prüfung verhaftet werden, ob dem Versicherungsnehmer ohne entsprechende Korrektur die in der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs genannten Tätigkeiten (Lesen und Teilnahme am Straßenverkehr) beschwerdefrei möglich sind. Insoweit handelt es sich offensichtlich lediglich um typische Beispielfälle für Tätigkeiten, die ein entsprechendes Sehvermögen im Nah- und Fernbereich erfordern, ohne dass dies die Annahme einer Krankheit bei Vorliegen von Beeinträchtigungen bei anderen, insbesondere beruflichen Betätigungen auszuschließen vermag. Denn ein berufstätiger Versicherungsnehmer wie der Kläger wird ein aufgrund vorhandener Fehlsichtigkeit nicht mehr beschwerdefrei mögliches Ausüben seiner Berufstätigkeit nicht minder als Krankheit empfinden als eine entsprechende Beeinträchtigung bei den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung beispielhaft genannten Tätigkeiten.
b) Nach diesen Maßstäben handelt es sich zumindest bei der Fehls...