Leitsatz (amtlich)
Ein pulverförmiges, in Kapselform vertriebenes Mittel, das im Wesentlichen aus dem Enzym Laktase besteht und zur Überwindung von Laktose-(Milchzucker-)Intoleranz entweder beim Verzehr laktosehaltiger Speisen eingenommen oder zuvor in diese eingebracht werden soll, ist kein zulassungspflichtiges Arzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 AMG in der durch die RL 2001/83 EG i.d.F. der RL 2004/27 EG gebotenen Auslegung. Diesem Mittel fehlt es an der seit der Vollharmonisierung des Arzneimittelbegriffs (von der spätestens seit 30.10.2005 auszugehen ist, vgl. BGH GRUR 2006, 513, 516 f., Tz. 33 - Arzneimittelwerbung im Internet) notwendigen Voraussetzung zur Einstufung als Funktionsarzneimittel gem. Art. 1 Nr. 2b der RL 2001/83 EG. Denn nicht die physiologische Funkton des Körpers (Verdauung) wird beeinflusst etc., sondern der Zustand der zu verdauenden Nahrung.
Normenkette
AMG § 2 Abs. 3 Nr. 3; RL 2001/83EG i.d.F. RL 2004/27 EG Art. 1 Nr. 2b
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 05.09.2007; Aktenzeichen 40 O 55/07 KfH) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Vorsitzenden der 40. Kammer für Handelssachen des LG Stuttgart vom 5.9.2007 - 40 O 55/07 KfH - wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 20.000 EUR.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen den Beklagten einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend.
1. Der Kläger ist Arzt und vertreibt über das Internet Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel. Er beabsichtigt, ein Mittel zur Milchzuckerspaltung in Pulverform zu vertreiben, das den milchzuckerhaltigen Nahrungsmitteln vor dem Verzehr beizugeben ist.
Die Beklagte vertreibt bundesweit über Apotheken in Kapselform das Mittel "Lactrase®", das im Wesentlichen aus dem Enzym Laktase besteht und beim Verzehr milchzuckerhaltiger Lebensmittel eingenommen werden soll, wobei der Kapselinhalt auch direkt in milchzuckerhaltige Speisen oder Getränke eingerührt werden kann. "Lactrase®" ist nicht als Arzneimittel zugelassen.
Das Enzym Laktase wird bei Menschen, die keine sog. Laktoseintoleranz aufweisen, vom Körper produziert. Es spaltet Milchzucker (Laktose, ein Disaccharid) in die Monosaccharide Glucose (Traubenzucker) und Galaktose und macht diesen dadurch verdaulich.
Der Kläger hat behauptet, bei "Lactrase®" handle es sich um ein zulassungspflichtiges Funktionsarzneimittel, weshalb die Beklagte durch dessen ohne Arzneimittelzulassung erfolgenden Vertrieb wettbewerbswidrig handle.
Demgegenüber hat die Beklagte die Auffassung vertreten, bei "Lactrase®" handle es sich um ein diätetisches Lebensmittel und nicht um ein Arzneimittel. Es fehle an der Beeinflussung physiologischer Funktionen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens in erster Instanz wird auf die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. ZPO.
2. Die Vorsitzende der 40. Kammer für Handelssachen beim LG Stuttgart hat durch das vom Kläger angegriffene Urteil die Unterlassungsklage abgewiesen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG liege nicht vor, weil das Mittel "Lactrase®" kein zulassungspflichtiges Arzneimittel i.S.v. §§ 2 Abs. 1, 21 AMG sei.
Maßgeblich sei der einheitliche europäische Arzneimittelbebgriff (Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG, im Folgenden: Richtlinie), dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
"Lactrase®" sei weder ein Präsentationsarzneimittel noch ein Funktionsarzneimittel. Die Unfähigkeit, Milchzucker zu verdauen, sei keine Krankheit, so dass Art. 1 Nr. 2a) der Richtlinie nicht eingreife. Die Voraussetzungen von Art. 1 Nr. 2b) der Richtlinie seien ebenfalls nicht erfüllt. Auch wenn durch die Einnahme von "Lactrase®" bewirkt werde, dass sonst unverdaulicher Milchzucker verdaut werden könne und damit eine Beeinflussung der physiologischen Funktion Verdauung vorliege, so beruhe dies nicht auf pharmakologischer Wirkung, weil "Lactrase®" nicht die körpereigene Produktion des Enzyms Laktase ermögliche, sondern dieses ersetze. Eine "metabolische" Wirkung i.S.v. Art. 1 Nr. 2b) der Richtlinie sei zwar gegeben, weil der Stoffwechsel mittelbar beeinflusst werde. Es fehle aber an einer nennenswerten Beeinflussung der Funktionsbedingungen des Körpers, was Voraussetzung für das Vorliegen eines Funktionsarzneimittels sei.
3. Mit der Berufung wendet sich der Kläger unter vollumfänglicher Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen gegen die Zurückweisung seines Unterlassungsantrags und verfolgt diesen weiter.
Das LG habe den Arzneimittelbegriff in § 2 AMG falsch ausgelegt. "Lactrase®" sei nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 AMG ein Arzneimittel, weil es dazu bestimmt sei, durch Anwendung im mensc...