Leitsatz (amtlich)
1. Einer Zahlung wohnt in der Regel nur dann eine stillschweigende Abnahmeerklärung inne, wenn der Besteller zuvor die Gelegenheit hatte, das Werk auf seine vollständige und vertragsgerechte Herstellung zu untersuchen. Ohne die Möglichkeit einer Prüfung des Werks durch den Besteller kann der Auftragnehmer redlicherweise nicht erwarten, dass sein Werk mit der Zahlung abgenommen sein soll (Abgrenzung Senat, Urt. v. 21.4.2009 - 10 U 9/09, juris Rz. 83 ff.).
2. Für eine Aushändigung der Abtretungsurkunde i.S.d. § 410 BGB genügt die Aushändigung eines Telefax der Abtretungsurkunde, wenn die Echtheit der vorgelegten Fotokopie bzw. des Telefax nicht angezweifelt wird (nachgehend BGH, Urt. v. 23.8.2012 - VII ZR 242/119).
3. Beim Anspruch auf Erstattung von Mangelbeseitigungskosten trägt der Besteller die Darlegungs- und Beweislast dafür, welche Leistungen nach der Kündigung ausgeführt wurden und wie hoch die mangelbedingten Mehrkosten sind.
4. Hat der Auftraggeber keinen Anlass, dem Gutachten eines Sachverständigen zu misstrauen, kann er die von ihm vorgeschlagene Mängelbeseitigung durchführen und deren Kosten geltend machen. Der Besteller kann nicht auf die niedrigere Kostenschätzung eines Sachverständigen verwiesen werden, wenn tatsächlich höhere Aufwendungen erforderlich waren.
5. Der Kostenerstattungsanspruch umfasst Aufwendungen für vertraglich vom Unternehmer nicht geschuldete Leistungen nicht, soweit der geschuldete Erfolg mit den vom Unternehmer vorgesehenen Materialien und der vorgesehenen Konstruktion erreicht werden kann.
Normenkette
BGB §§ 640, 410, 637 Abs. 1; VOB/B § 4 Nr. 7, § 8 Nr. 3 Abs. 2 S. 1, § 13 Nr. 5 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 05.05.2010; Aktenzeichen 7 O 363/08) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Tübingen vom 5.5.2010 - 7 O 363/08, abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 19.603,47 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 28.369,60 EUR vom 25.7.2008 bis zum 26.5.2010 und aus 19.603,47 EUR ab dem 27.5.2010 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Klagerweiterung der Klägerin abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in der zweiten Instanz tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte. Die Beklagte hat die Hälfte der dem Streithelfer in der zweiten Instanz entstandenen Kosten zu tragen. Bezüglich der Kostens des Rechtsstreits in erster Instanz und des selbständigen Beweisverfahrens verbleibt es bei der Kostenentscheidung erster Instanz.
4. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Berufungsstreitwert: beziffert: 54.178,84 EUR
Feststellung: 20.000 EUR
insgesamt: 74.178,84 EUR
Streitwert für die 1. Instanz: 58.369,60 EUR
Gründe
I. Die Klägerin begehrte aus abgetretenem Recht erstinstanzlich einen Kostenvorschuss zur Beseitigung von Mängeln an einer von der Beklagten errichteten Balkonanlage am Gebäude X in K.. In der Berufungsinstanz macht die Klägerin unter Klagerweiterung die Kostenerstattung für die Selbstvornahme und Schadensersatz geltend.
Bezüglich des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des LG Tübingen vom 5.5.2010 - 7 O 363/08, verwiesen.
Unter Berücksichtigung der Beweiserhebung im selbständigen Beweisverfahren vor dem LG Tübingen, AZ: 7 OH 10/06 und der ergänzenden Begutachtung durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. Sch. hat das LG der Klage auf Vorschuss stattgegeben. Die Gewährleistungsansprüche der A. Hochbau Ltd. gegen die Beklagte seien wirksam an die Klägerin abgetreten worden. Dies sei von der Beklagten jahrelang nicht abgestritten, sondern dadurch bestätigt worden, dass sie der Klägerin mit Schreiben vom 25.10.2005 die Durchführung der Restarbeiten bestätigt und die Übergabe der Gewährleistungsbürgschaft angekündigt habe. Die Aushändigung einer Abtretungsurkunde sei keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Abtretung. Eine nachträgliche Berufung auf ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB lasse bereits eingetretene Verzugsfolgen nicht entfallen.
Die von der Klägerin geltend gemachten Mängel lägen gemäß den nachvollziehbaren und detaillierten Angaben des Sachverständigen Sch. im Wesentlichen vor. Ursache der Mängel seien nicht ausreichende statische Berechnungen. Konstruktive Änderungen an den Auflagekonsolen seien nicht (statisch) nachgewiesen worden. Es fehle der Nachweis der Lastweiterleitung auf die alten bestehenden Bauteile. Eine Ausführungsplanung fehle vollständig. Es sei eine konstruktiv schlechte und mangelhafte Bauausführung durch die Beklagte vorgenommen worden. Einwände der Beklagtenseite habe der Sachverständige Sch. nachvollziehbar ...