Leitsatz (amtlich)
1. Ein Steuerberater ist nicht verpflichtet, eine Entscheidung eines FG zur Kenntnis zu nehmen, die ein Steuertatbestand wegen Europarechtswidrigkeit nicht anwendet, wenn diese Frage bislang in Rechtsprechung und Literatur nicht diskutiert worden war.
2. Soweit eine Pflicht besteht, eine obergerichtliche Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen, ist dem Steuerberater grundsätzich eine längere Karenzzeit zuzubilligen als im Falle einer höchstrichterlichen Entscheidung.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 675
Verfahrensgang
LG Ellwangen (Urteil vom 27.05.2009; Aktenzeichen 5 O 96/08) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteils des LG Ellwangen vom 27.5.2009 - 5 O 56/08 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckendes Betrages leistet.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 54.889,69 EUR.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte, ihre frühere Steuerberaterin, wegen nicht erteilter steuerlicher Hinweise auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger betrieb Spielhallen und/oder Aufstellplätze für Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten, wobei er für die erzielten Umsätze in den Jahren 1995 bis 2000 zur Umsatzsteuer veranlagt wurde.
Die Beklagte war in dieser Zeit Steuerberaterin des Klägers und hat für diesen die Umsatzsteuererklärungen erstellt sowie die entsprechenden Bescheide geprüft. Das Mandatsverhältnis endete aufgrund einer Kündigung des Klägers vom August 2002, die die Beklagte mit Schreiben vom 21.8.2002 bestätigte.
Der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1998 datiert vom 20.6.2001 (Anlage K 6), die Abrechnung des Finanzamts hinsichtlich der Umsatzsteuer für das Jahr 1999 vom 20.3.2001 (Anlage K 8) und die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2000 wurde von der Beklagten am 25.3.2002 (Anlage K 9) eingereicht. Die jeweiligen Steuerbescheide sind bestandskräftig geworden.
Gemäß § 4 Nr. 9 UStG a.F. waren in dieser Zeit nur Erlöse aus Geldspielautomaten in öffentlichen Spielbanken von der Umsatzsteuer befreit.
Mit Urteil vom 17.2.2005 hat der EuGH (EuZW 2005, 210 - Linneweber) entschieden, dass diese Regelung gegen Art. 13 Teil B Lit. F 6 Rl. 77/388/EWG verstößt und dass aufgrund der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie Umsatzsteuer für derartige Glückspiele nicht hätte erhoben werden dürfen.
Bereits im Jahr 1998 hatte der EuGH (veröffentlicht in DStRE 98, 490) entschieden, dass eine Differenzierung zwischen unerlaubtem und erlaubtem Glückspiel nicht zulässig sei, weshalb Umsatzsteuer bei verbotenen und strafbaren Glückspielen nicht erhoben werden dürfe.
Konsequenzen aus dieser Entscheidung hat der deutsche Gesetzgeber nicht gezogen.
Mit Entscheidung vom 30.11.2000 hat der BFH in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren Zweifel an der Europarechtskonformität der Umsatzsteuerpflicht von Erlösen aus in Gaststätten oder Spielhallen aufgestellten Geldspielautomaten geäußert und deshalb die sofortige Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide ausgesetzt. Diese Entscheidung wurde nicht amtlich veröffentlicht, sondern nur bspw. in BFH/NV 2001, 657 (vgl. die übrigen Fundstellen, teilweise nur mit dem Leitsatz, in Juris).
Mit Entscheidung vom 26.10.2001 hat das FG Münster entschieden, dass die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten aus gemeinschaftlichen Gründen umsatzsteuerfrei zu belassen seien. Diese Entscheidung wurde am 7.6.2002 u.a. in DStRE 2002, 501 veröffentlicht (weitere Fundstellen vgl. Juris).
In dem Revisionsverfahren gegen diese Entscheidung hat der BFH mit Beschluss vom 6.11.2002 (BFHE 200, 149) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob auch Umsätze von nicht in öffentlichen Spielbanken aufgestellten Geldspielautomaten umsatzsteuerfrei seien und ob die o.g. Richtlinie unmittelbar Anwendung zugunsten des Steuerpflichtigen finde. Hierzu ist dann die erstgenannte Entscheidung des EuGH vom 17.2.2005 ergangen. Der BFH hat anschließend die Revision gegen das Urteil des FG Münster zurückgewiesen.
Der Beklagten waren während der Dauer der Vertragsbeziehung der Parteien die Entscheidungen des BFH vom 30.11.2000 und des FG Münster vom 26.10.2001 nicht bekannt.
Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren einen Prozessfinanzierer eingeschaltet, diesem seine angebliche Schadensersatzforderung abgetreten und mit ihm Vereinbarungen über die Geltendmachung der streitgegenständlichen Forderungen getroffen. Für die Einzelheiten wird auf den Vertrag Bl. 152 verwiesen.
Der Kläger hat vorgetragen, dass die Beklagte die Entscheidungen des BFH vom 30.11.2000 sowie des FG Münster hätte kennen und hieraus hätte entnehmen müssen, dass die Umsatzsteuerpflichtigkeit der von ihm betriebenen Glückspiele u.U. gemeinschaftswidrig sein könne. Deshalb hätte er durch Einspruch gegen die entsprechenden Umsatzsteuerbescheide verhindern müssen, dass diese besta...