Leitsatz (amtlich)

Ein nicht zur Irrtumsanfechtung berechtigender Kalkulationsirrtum liegt vor, wenn der Irrtum bei der Kalkulation der Einheitspreise für ein Gebot in einem Vergabeverfahren entstanden ist.

 

Normenkette

BGB § 119; VOB/A § 15 Abs. 3, § 16 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Urteil vom 07.06.2022; Aktenzeichen 5 O 129/21)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Grundurteil des Landgerichts Tübingen vom 07.06.2022 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Dieses Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Streitwert des Berufungsverfahrens:

26.620,34 Euro

 

Gründe

A Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz nach ihrem Ausschluss aus einem Vergabeverfahren.

Wegen des Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen. Zusammengefasst: Die beklagte Gemeinde schrieb im Oktober 2020 verschiedene Gewerke für den Bau eines Regenüberlaufbeckens auf der Grundlage der VOB/A und VOB/B aus (Anlagen K 1 und K 2). Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Am 10.11.2020 unterbreitete die Klägerin ein Angebot über 913.965,05 Euro (netto), mit dem sie rund 2 % unter dem Angebot des Zweitplatzierten und rund 8 % unter dem Angebot des Drittplatzierten lag (Anlage K 4). Nach Ablauf der Angebotsfrist und noch vor der Zuschlagserteilung teilte das von der Beklagten beauftragte Ingenieurbüro mit, es sei aufgefallen, dass einige der Einheitspreise der Klägerin im Vergleich zu den Mitbewerbern sehr günstig seien, insbesondere für Betonstabstahl mit 1,36 Euro, für Betonstahlmatten mit 1,19 Euro und für Unterstützungskörbe mit 3,68 Euro. Das Ingenieurbüro teilte mit, dass die Leistung nach Tonnen ausgeschrieben sei, es die Einheitspreise für nicht auskömmlich halte und um Aufklärung bitte (Anlage K 5). Die Klägerin antwortete hierauf am 19.11.2020, in den fraglichen Positionen sei ihr ein kalkulatorischer Fehler unterlaufen. Infolge der Kalkulation mit vorgefertigten Kalkulationsbausteinen hätte sie versehentlich einen Kilopreis anstatt eines Tonnenpreises angeboten. Da das Angebot in seiner Gesamtheit auskömmlich sei, stehe sie zu den abgegebenen Preisen (Anlage K 6). Diese Auskunft gab sie auf Anforderung auch unmittelbar an die Beklagte (Anlage K 8).

Am 07.12.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass diese vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werde. Noch am selben Tag rügte die Beklagte den Ausschluss als vergaberechtswidrig (Anlage K 9). Die Beklagte erteilte den Zuschlag an einen anderen Bieter.

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin Schadensersatz wegen ihres entgangenen Gewinns in Höhe von 26.620,34 Euro (3 % der Angebotssumme), hilfsweise Ersatz des negativen Interesses in Höhe von 11.111,80 Euro.

Mit dem angefochtenen Grundurteil hat das Landgericht der Klägerin dem Grunde nach einen bestehenden Schadensersatzanspruch aus § 280 Absatz 1, § 241 Absatz 2, § 311 Absatz 2 BGB zugesprochen. Der Zuschlag hätte vorliegend der Klägerin als günstigster Bieterin erteilt werden müssen. § 16a Absatz 2 Satz 2 VOB/A rechtfertige den Ausschluss der Klägerin nicht. Das Angebot der Klägerin habe die geforderten Preise (§ 13 Absatz 1 Nr. 3 VOB/A) enthalten. Zwar habe dem Angebot eine falsche Preisberechnung zugrunde gelegen. Dabei habe es sich jedoch um einen unbeachtlichen Kalkulationsirrtum gehandelt. Der Fehler sei nicht erst im Moment der Angebotsabgabe, sondern vorgelagert bei der Kalkulation der Einheitspreise zu den Positionen entstanden. Es sei auch nicht von einer unzulässigen Mischkalkulation auszugehen. Der Ausschluss sei ferner nicht wegen fehlender Auskömmlichkeit gerechtfertigt. Entscheidend hierfür sei der Gesamtpreis des Angebots. Dieser habe nur geringfügig unter dem nächsthöheren Angebot gelegen.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen das Grundurteil. Es habe nicht lediglich ein Kalkulationsirrtum vorgelegen. Die Klägerin hätte ihr Angebot anfechten können. Die nachträgliche Erklärung, sich gleichwohl an den Preis halten zu wollen, falle unter das Nachverhandlungsverbot und sei daher unbeachtlich. Der Auftraggeber sei nicht verpflichtet, den Bieter an fehlkalkulierten Angebotspreisen festzuhalten.

Die Beklagte beantragt,

1. Das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 7. Juni 2022, Az. 5 O 129/21 wird aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das Urteil des Landgerichts. Es habe kein zur Anfechtung berechtigender Erklärungsirrtum vorgelegen. Die Klägerin habe vorgetragen, dass der Fehler nicht erst im Moment der Angebotsabgabe, sondern vorgelagert bei der Kalkulation der Einheitspreise zu den streitigen Positionen entsta...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge