Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen der Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter fehlt es an der Schutzbedürftigkeit des Dritten, wenn diesem eigene vertragliche Ansprüche - gleich gegen wen - mit einem zumindest gleichwertigen Inhalt zustehen.

2. Derartige inhaltsgleiche Ansprüche sind auch solche auf Anpassung der von einem Sachverständigen als Schiedsgutachter i.S.d. §§ 317, 319 BGB bestimmten Leistung.

3. Neben diesem - vom Dritten gegen den eigenen Vertragspartner zu richtenden - Anpassungsverlangen ist für eine Haftung des Sachverständigen nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kein Raum.

4. Der Sachverständige haftet dem Dritten für ein von ihm erstattetes (unterstellt) unrichtiges Gutachten daneben auch nicht aufgrund von § 311 Abs. 3 BGB.

5. Die Grundsätze einer Störung der Geschäftsgrundlage im Hinblick auf einen gemeinsamen offenen Kalkulationsirrtum (§ 313 Abs. 2 BGB) führen zu keinem anderen Ergebnis.

 

Normenkette

BGB § 311 Abs. 3, §§ 313, § 315 ff, § 328

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 19.05.2011; Aktenzeichen 35 O 74/09 KfH)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Grundurteil der 35. Kammer für Handelssachen des LG Stuttgart vom 19.5.2011 abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 134.513,31 EUR

 

Gründe

I. Die Klägerin macht gegenüber den Beklagten Schadensersatzansprüche wegen der Erstellung von - behauptet - fehlerhaften Gutachten im Zusammenhang mit dem Rückkauf gebrauchter Leasingfahrzeuge der B.-Gruppe geltend.

Bei der Klägerin, die ein Autohaus in M. betreibt, handelt es sich um eine B.-Vertragshändlerin. Die Beklagten bilden eine renommierte Sachverständigenorganisation im Automobilbereich, zu deren Dienstleistungen u.a. Fahrzeugbewertungen gehören; die Beklagte zu 1 ist ein Tochterunternehmen des Beklagten zu 2.

Die Klägerin unterhält mit der B. Leasing GmbH eine "Vereinbarung über Leasinggeschäfte" vom 26./28.3.2002, die u.a. eine Verpflichtung der Klägerin beinhaltet, nach der Beendigung der vermittelten Leasingverträge die zurückgegebenen Fahrzeuge, die sog. Leasingrückläufer, von der B. Leasing GmbH zurückzukaufen. Bei der Berechnung des Kaufpreises wird maßgeblich auf den Händlereinkaufspreis abgestellt, der nach Ziff. 3.5.1 der genannten Vereinbarung "derzeit von D ... aufgrund des Baujahres und der tatsächlich gefahrenen Kilometer, aber ohne Berücksichtigung des jeweiligen Fahrzeugzustandes im Auftrag der B. L [= B. Leasing GmbH] ermittelt" wird; hierzu werden die "zur Bewertung erforderlichen Daten ... der D ... von der B. L per Computer übertragen; der rückkaufende Händler erhält das Bewertungsgutachten ausgehändigt." Eine ähnliche "Vereinbarung über Leasinggeschäfte", die zwischen der Klägerin und der B. Leasing GmbH auch bereits in früheren Jahren bestanden hatte, schloss die Klägerin auch mit der A ... F. GmbH.

Grundlage der Mitwirkung der Beklagten bei der Ermittlung des Händlereinkaufspreises ist ein Vertrag zwischen dem Beklagten zu 2 und der B. Leasing GmbH vom 31.07./5.8.1987 (im Folgenden: EDV-Verbund-Vertrag). Gegenstand dieses Vertrages ist die Einrichtung einer Datenfernleitung zwischen der B. Leasing GmbH und dem Hausrechner der D., über die die B. Leasing GmbH selbst sog. "B.-Leasing-Kurzbewertungen" zum Zwecke der Abrechnung von Leasingverträgen erstellen können sollte. In Ziff. 3.1 dieses Vertrags heißt es u.a., es würden nur die Rechendaten druckaufbereitet gemäß D.-Spezifikation an B.-Leasing übertragen; die Bewertung erfolge aufgrund von Anwendervorgaben; eine D.-Ing.-Leistung werde nicht in Anspruch genommen.

Vor diesem Hintergrund wurden im Zeitraum von Januar bis November 2008 die hier streitgegenständlichen sog. "Bewertungsgutachten/Rechendaten" erstellt, auf deren Grundlage die B. Leasing GmbH (bzw. die A. F. GmbH) ihr Andienungsrecht ausübte und mit der Klägerin entsprechende Kaufverträge über die jeweiligen Fahrzeuge schloss.

Der Streit der Parteien dreht sich im Wesentlichen um die Frage, ob der EDV-Verbund-Vertrag aus dem Jahre 1987 die Erstellung von Gutachten seitens der Beklagten für die B. Leasing GmbH beinhaltet, und ob dieser Vertrag Schutzwirkung auch zugunsten der Klägerin entfaltet. Gegenstand des Rechtsstreits sind neben Schadensersatzansprüchen aus dem EDV-Verbund-Vertrag in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auch deliktische Ansprüche der Klägerin.

Die Klägerin - die auch an sie abgetretene Ansprüche zweier Schwestergesellschaften geltend macht - hat in erster Instanz beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner ...

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