Leitsatz (amtlich)

1. Wird eine aktienrechtliche Nichtigkeitsklage rechtsmissbräuchlich erhoben, so hat dies – anders als bei der Anfechtungsklage – nicht nur die Unbegründetheit, sondern die Unzulässigkeit der Klage zur Folge. Das gilt einheitlich auch für den Fall, dass in einem Prozess zum selben Beschluss Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe geltend gemacht werden und sich dies als rechtsmissbräuchlich darstellt.

2. a) Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Klage können sich aus früheren Klagen desselben Klägers gegen andere Gesellschaften ableiten lassen, die mit dem Ziel erhoben waren, Lästigkeitszahlungen der Gesellschaft zu erreichen.

b) Das gilt erst recht für Klagen gegen dieselbe Gesellschaft, vor allem dann, wenn sich die Verfahren zeitlich überlagern und die Umstände, die sich in dem früheren Verfahren ergeben haben, so schwerwiegend und offensichtlich sind, dass sich die Rechtsausübung auch in dem zur Entscheidung anstehenden Verfahren als missbräuchlich darstellt.

3. Haben mehrere Aktionäre gegen denselben Beschluss der Hauptversammlung oder denselben Jahresabschluss Nichtigkeitsklage erhoben und besteht deshalb wegen der in § 248 Abs. 1 AktG angeordneten Rechtskrafterstreckung eine notwendige Streitgenossenschaft aus prozessrechtlichen Gründen (§ 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO), so steht dies dem Erlass eines Teil-Anerkenntnisurteils nicht entgegen, wenn die beklagte Aktiengesellschaft die Klage eines Aktionärs anerkennt.

4. Eine Kapitalgesellschaft gibt grundsätzlich bereits durch die Beschlussfassung i.S.d. § 93 ZPO Anlass zur Erhebung einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage.

 

Normenkette

AktG §§ 246, 248-249

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Aktenzeichen 35 KfH O 12/01)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers zu 2) wird das Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des LG Stuttgart vom 25.5.2001 – 5 KfH O 12/2001 – teilweise abgeändert: Auf die Klage des Klägers zu 2) wird festgestellt, dass der in der Hauptversammlung der Beklagten vom 11.11.1999 vorgelegte, festgestellte Jahresabschluss der Beklagten per 31.12.1998 nichtig ist.

2. Die Berufung des Klägers zu 1) wird zurückgewiesen.

3. Von den Gerichtskosten erster Instanz und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten in beiden Instanzen tragen der Kläger zu 1) 60 % und die Beklagte 40 %.

Von den Gerichtskosten zweiter Instanz tragen der Kläger zu 1) 80 % und die Beklagte 20 %.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2) trägt die Beklagte.

Der Kläger zu 1) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

4. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers zu 2) gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 8.000 Euro abwenden, wenn der Kläger zu 2) vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Der Kläger zu 1) kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 4.000 Euro abwenden, wenn der Kläger zu 1) vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Streitwert für beide Instanzen:

Klageantrag Ziff. 1 (Kläger zu 1)): 5.000 Euro

Klageantrag Ziff. 2 (Kläger zu 1)): 5.000 Euro

Klageantrag Ziff. 3 (Kläger zu 1) u. 2)): 45.000 Euro

55.000 Euro

Beschwer des Klägers zu 1): 55.000 Euro

Beschwer der Beklagen: 45.000 Euro

 

Tatbestand

Die Kläger sind Aktionäre der Beklagten. Sie wenden sich mit Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage zum wiederholten Male gegen Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten.

I. 1. Unternehmensgegenstand der Beklagten, die früher unter „E. AG” firmierte, ist die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb energiesparender Systeme durch Nutzung des Sonnenlichts. Da die Beklagte über kein eigenes Vertriebssystem verfügte, erwarb sie im Oktober 1998 zu einem Kaufpreis von 1,15 Mio. DM die S. GmbH & Co. KG (im Folgenden als „S. KG” bezeichnet) von deren Gesellschaftern K. und R.; im Kaufvertrag war u.a. bestimmt, dass seine Wirksamkeit von der Zustimmung der Hauptversammlung der Beklagten abhängig war. Herr K. war damals auch Vorstand, Herr R. Aufsichtsratsmitglied der Beklagten. Die S. KG hatte für den Vertrieb von Sonnenkollektoren ein Franchise-System unter der Bezeichnung „L.” aufgebaut. Ihre Schlussbilanz wies per 31.10.1998 einen Verlust von 373.374,54 DM und ein negatives Kapital von 56.992,23 DM aus (Anl. B 5).

Am 23.12.1998 beschloss die Hauptversammlung der Beklagten u.a., das Kapital von 800.000 DM um bis zu 600.000 DM zu erhöhen (Punkt 10 der Tagesordnung) und den Sitz von O. nach St. zu verlegen (Punkt 7). Neu in den Aufsichtsrat wurde Herr X. gewählt (Punkt 9). Unter Punkt 5 der Tagesordnung stimmte die Hauptversammlung mehrheitlich dem Kauf der S. KG zu. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Niederschrift, Anl. B 6, Bezug genommen.

Gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss erhob zunächst ein Aktionär E. Nichtigkeitsklage, die er später zurücknahm. In der Folgezeit erwarb der Kläger zu 1) wenige Aktien und erhob alsdann seinerseits wegen verschiedener Einberufungsmängel Nichtigkeitsklage gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss, die durch Urteil des LG Stuttgart vom 22.9.1...

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