Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen an das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums des Fahrzeugherstellers über die Unzulässigkeit eines "Thermofensters".

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 07.10.2022; Aktenzeichen 15 O 256/22)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 07.10.2022, Az. 15 O 256/22, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 8.000 EUR

 

Gründe

I. Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

A. Die Klagepartei kaufte am 17.06.2015 von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten das streitgegenständliche Fahrzeug XY A 180 CDI als Gebrauchtfahrzeug mit einer damaligen Laufleistung von 8.851 km zu einem Preis von 27.350 EUR.

Das Fahrzeug wurde von der Beklagten hergestellt, wobei sie einen vom Kooperationspartner ... entwickelten und zugelieferten Motor des Typs OM 607 (Euro 5) verwendete. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen. Allerdings unterlag das streitgegenständliche Fahrzeug einem Rückruf des KBA wegen einer Konformitätsabweichung des Dieselpartikelfilters vom 25.06.2020. Mit dem daraufhin entwickelten und vom KBA freigegebenen Softwareupdate, welches am 07.12.2021 auf das Fahrzeug aufgespielt wurde, nahm die Beklagte auch Modifikationen an der Kalibrierung der Abgasrückführung vor.

In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, bei der das im Rahmen der Verbrennung entstandene Abgas in den Brennraum zurückgeleitet wird und somit erneut an der Verbrennung teilnimmt, was sich mindernd auf die Stickoxidemissionen (NOx-Emissionen) auswirkt. Die AGR arbeitet bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug u.a. temperaturgesteuert, wird also beim Unter- und Überschreiten einer Schwellentemperatur reduziert. Im Erwerbszeitpunkt lagen die Schwellenwerte dieser Temperatursteuerung bei 17 °C, bzw. 35 °C Ansauglufttemperatur.

Die Parteien streiten darüber, ob das streitgegenständliche Fahrzeug über eine sogenannte "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" (KSR) verfügt, auch als "geregeltes Kühlmittelthermostat" bezeichnet, bei der die - durch den Einsatz einer Kühlung - verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt.

Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt nicht über ein SCR-System (selektive katalytische Reduktion). Dabei handelt es sich um eine Abgasnachbehandlung mit dem Harnstoffgemisch AdBlue, das durch die hohen Temperaturen im Abgassystem in Ammoniak umgewandelt wird, der anschließend in einem SCR-Katalysator mit den im Abgas enthaltenen Stickoxiden zu Stickstoff und Wasser reagiert.

Die Klagepartei hat das Fahrzeug am 04.04.2022 bei einem Kilometerstand von 123.181 zu einem Preis von 10.000 EUR weiterveräußert.

Erstinstanzlich hat die Klagepartei - unter Berücksichtigung der gezogenen Nutzungen und des Verkaufserlöses - beantragt für Recht zu erkennen:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 6.610,05 EUR zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.214,99 EUR freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

B. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Klagepartei stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, weil weder die objektiven noch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung aus § 826 BGB dargetan seien und sich eine Haftung - mangels Schutzgesetzeigenschaft - auch nicht aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4 Abs. 1, 2 S. 2; Abs. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 ergäbe.

C. Mit Ihrer Berufung verfolgt die Klagepartei in erster Linie ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Nach Erlass der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 (VIa ZR 335/21) begehrt sie hilfsweise, auf den Differenzschadensersatz zu erkennen.

Die Klagepartei beantragt zuletzt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 6.610,05 EUR zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit bezüglich des Fahrzeugs XY A 180 CDI mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ... zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskoste...

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