Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtswidrigkeit der Verlängerung von Abschiebungshaft

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Rechtswidrigkeit der Verlängerung von Abschiebungshaft wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots in Freiheitsentziehungssachen.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 2 S. 2; EMRK Art. 5; FGG § 27

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Beschluss vom 15.05.2006; Aktenzeichen 8 T 34/06)

AG Bingen am Rhein (Beschluss vom 25.01.2006; Aktenzeichen 10 XIV 5/06.B)

 

Tenor

I. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die gemäß dem Beschluss des AG Bingen vom 25.1.2006 angeordnete und vollzogene Abschiebungshaft rechtswidrig war.

III. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem W.-Kreis auferlegt.

IV. Dem Betroffenen wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt.

 

Gründe

Die weitere Beschwerde ist zulässig (§ 106 Abs. 2 AufenthG, § 3 S. 2 FEVG, §§ 27, 29 FGG). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1.a) Die sofortige (Erst-)Beschwerde des Betroffenen ist nicht deshalb unzulässig geworden, weil er vor der Entscheidung des LG abgeschoben wurde und sich dadurch die Hauptsache erledigt hat. Eine Erledigung der Hauptsache lässt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Rechtsschutzmöglichkeit zwecks Kontrolle der Rechtmäßigkeit der beendeten Freiheitsentziehung nicht entfallen; das gebieten die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes und die Verfahrensgarantie des Art. 5 Abs 4 EMRK (näher zum Ganzen: OLG Zweibrücken v. 12.1.2005 - 3 W 275/04, OLGReport Zweibrücken 2005, 219 = OLGReport Zweibrücken 2005, 316 = FGPrax 2005, 137 = FGPrax 2004, 95, jeweils m.w.N.). Der Betroffene kann ein Rechtsmittel mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der vollzogenen Freiheitsentziehung einlegen oder aufrechterhalten; er kann aber auch sein Rechtsmittel auf die Kostenfrage beschränken mit dem Ziel, nach § 16 FEVG die Erstattung seiner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu erlangen. Vorliegend hat der Betroffene der Erledigung der Hauptsache in der Weise Rechnung getragen, dass er bereits im zweiten Rechtszug ggü. dem LG beantragt hat, die behauptete Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft festzustellen und der Ausländerbehörde die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (vgl. Schriftsätze v. 17.3.2006, Bl. 38 d.A., und v. 12.4.2006, Bl. 49 d.A.).

b) Gegenstand der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ist entsprechend dem Verfahrensgegenstand im ersten und zweiten Rechtszug allein die Verlängerung der Abschiebungshaft ab dem 25.1.2006 gemäß dem Beschluss des AG Bingen vom selben Tag. Einer Ausweitung des Verfahrensgegenstandes der weiteren Beschwerde auf den Zeitraum der Abschiebungshaft davor steht die formelle Rechtskraft des die Freiheitsentziehung anordnenden Beschlusses des AG Mönchengladbach vom 27.10.2005 entgegen (OLG München FGPrax 2005, 276 [277]). Das hat der Betroffene bei der Formulierung seines Feststellungsantrags im dritten Rechtszug beachtet.

2. Die weitere Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Entsprechend dem Begehren des Betroffenen ist festzustellen, dass die von dem AG mit Wirkung ab dem 25.1.2006 beschlossene Fortdauer der Sicherungshaft bis zur Abschiebung des Betroffenen am 28.3.2006 rechtswidrig war. Die gegenteilige Entscheidung des LG beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 FGG, § 546 ZPO).

a) Allerdings bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Annahme der Tatrichter, dass ggü. dem Betroffenen die Haftgründe des § 62 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 5 AufenthG vorlagen. Dagegen hat auch die weitere Beschwerde nichts zu erinnern.

b) Das AG bei der Verlängerung der Abschiebungshaft und das LG bei seiner Entscheidung über das Feststellungsbegehren haben jedoch nicht genügend beachtet, dass die antragstellende Behörde während der zunächst auf 3 Monate befristeten ersten Haftanordnung durch das AG Mönchengladbach vom 27.10.2005 jedenfalls objektiv gegen das von ihr zu beachtende Beschleunigungsgebot in Haftsachen verstoßen hat.

aa) Abschiebungshaft ist Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 104 GG und Art. 5 Abs. 1 EMRK. Die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur aus besonders gewichtigem Grund entzogen werden darf. Die Einschränkung der persönlichen Freiheit ist daher aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Deshalb darf Haft zur Sicherung der Abschiebung (§ 62 Abs. 2 AufenthG) nur angeordnet werden, wenn sie erforderlich ist. Dies setzt voraus, dass die Ausländerbehörde die Abschiebung mit der notwendigen größtmöglichen zumutbaren Beschleunigung, also ohne unnötige Verzögerung, betrieben hat (BGH v. 11.7.1996 - V ZB 14/96, NJW 1996, 2796 [2797]; st. Rspr. des OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.6.2004 - 3 W 122/04).

Für den Fall, dass - wie hier - für die Abschiebung Reisepapiere über die Heimatbehörden des Betroffenen beschafft werden müssen, bede...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge