Leitsatz (amtlich)

Eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung (§§ 338 Nr. 8 StPO, 79 Abs. 3 OWiG) durch die nach Abgabe des Verfahrens an das Gericht erfolgte Ablehnung der Beiziehung und Überlassung von nicht bei den Akten befindlichen Messunterlagen liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Betroffene die Einsichtnahme zwar im Verwaltungsverfahren bei der Bußgeldbehörde beantragt, gegen deren ablehnende Entscheidung aber nicht von dem Rechtsbehelf des § 62 OWiG Gebrauch gemacht hat (Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.07.2018 - IV-2 RBs 133/18).

 

Verfahrensgang

AG Kaiserslautern (Entscheidung vom 21.10.2019; Aktenzeichen 4 OWi 6070 Js 17935/19)

 

Tenor

  1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 21. Oktober 2019 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat.
  2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels (§ 473 Abs. 1 StPO).
 

Gründe

Ergänzend zu den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in der Antragsschrift vom 29. März 2020 bemerkt der Senat:

Entgegen der im Schriftsatz der Verteidigung vom 16. April 2020 mitgeteilten Auffassung hat das Oberlandesgericht Karlsruhe einen Anspruch auf Einsicht in nicht bei den vorgelegten Akten befindlichen Unterlagen nicht auf das Akteneinsichtsrecht des Betroffenen (§ 147 StPO i.V.m. § 46 OWiG) gestützt. Es hat diesen vielmehr dem allgemeinen Gebot eines fairen Verfahrens entnommen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 16.07.2019 - 1 Rb 10 Ss 291/19, juris Rn. 24 und vom 27.09.2019 - 1 Rb 10 Ss 531/19, juris Rn. 5). Eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung durch die Versagung der Einsicht in Messunterlagen, die nicht in der Akte enthalten und daher vom Einsichtsrecht des § 147 StPO nicht erfasst sind, kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der Betroffene die Einsichtnahme bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde beantragt und gegen deren ablehnende Entscheidung eine gerichtliche Entscheidung gem. § 62 OWiG herbeigeführt hat (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.07.2018 - IV-2 RBs 133/18, juris Rn. 6; s.a.: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 - 1 Rb 10 Ss 291/19, juris Rn. 30 sowie die eine Verletzung des fairen Verfahrens generell verneinenden Entscheidungen des OLG Bamberg, Beschluss vom 13.06.2018 - 3 Ss OWi 626/18, und des OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.07.2018 - 2 Ss (OWi) 197/18, jew. zit. nach Juris).

Nach diesen Maßstäben dringt die Verfahrensrüge schon deshalb nicht durch, weil weder die Begründung mitgeteilt wird, mit der die Verwaltungsbehörde die beantragte Überlassung der digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe und weiterer Unterlagen verweigert hat, noch dargelegt ist, dass diesbezüglich von dem Rechtsbehelf der §§ 62, 68 OWiG Gebrauch gemacht wurde (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.08.2016 - 2 Ss-OWi 562/16, juris Rn. 15; KG Berlin, Beschluss vom 15.05.2017 - 3 Ws (B) 96/17, juris; Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 03.04.2020 - 1 SsRs 50/19, juris Rn. 22 m.w.N.). Abweichendes gilt auch nicht mit Blick auf den Umstand, dass der Betroffene nach dem Erhalt der Terminladung beim Amtsgericht Einsicht in die begehrten Unterlagen beantragt hat. Anders als bei einer Entscheidung nach § 62 OWiG war dieser Antrag an den Grundsätzen der Aufklärungspflicht zu messen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausgeschlossen, dass das Amtsgericht im Rechtsbehelfsverfahren nach § 62 OWiG zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre und die Verwaltungsbehörde zur Gewährung von Einsicht in die begehrten Unterlagen verpflichtet hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13851102

NStZ 2021, 111

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