Verfahrensgang

VG Berlin (Beschluss vom 28.06.2001; Aktenzeichen 1 A 166.01)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Juni 2001 geändert.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 14. Mai 2001 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 8.000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Mit Bescheid vom 14. Mai 2001 teilte der Polizeipräsident in Berlin dem Antragsteller mit, dass die Anmeldung der von ihm geplanten „Fuckparade 2001” nicht als Anmeldung einer Versammlung entgegengenommen und bestätigt werden könne, weil die in Rede stehende Veranstaltung keine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes sei. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen diesen Bescheid wiederhergestellt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus. An der sofortigen Vollziehung des Bescheides besteht ein besonderes öffentliches Interesse, das die privaten Belange des Antragstellers überwiegt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Bescheid vom 14. Mai 2001 bei summarischer Prüfung rechtmäßig.

Die vom Antragsteller für den 14. Juli 2001 geplante Veranstaltung gehört nicht mehr zu dem Begriff der Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts. Der Versammlungsbegriff ist zwar im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes grundrechtsfreundlich auszulegen und anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt Versammlungen und Aufzügen der besondere verfassungsrechtliche Schutz aber nur zu, wenn sie „Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung” sind (grundlegend: BVerfGE 69, 315 [343]). Denn Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes sollen „das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage)” schützen (BVerwGE 56, 63 [69]; 82, 34 [38 f.]). Voraussetzung ist daher eine auf diesen Zweck gerichtete Verbundenheit der Teilnehmer. Erforderlich ist eine Zweckverbundenheit, die auf gemeinschaftliche kommunikative Entfaltung (Meinungsäußerung und Meinungsbildung) gerichtet ist. Demgemäß scheiden Volksfeste und andere Volksbelustigungen sowie die in § 17 VersG weiter genannten Veranstaltungen regelmäßig aus, weil dabei die gemeinschaftliche kommunikative Entfaltung nachrangig ist. Anders kann im Einzelfall nur dann zu entscheiden sein, wenn die Veranstaltung trotz ihres äußeren Erscheinungsbildes als Volksfest oder Vergnügungsveranstaltung durch eine kollektive Aussage geprägt ist. Zu einer solchen kollektiven Meinungskundgabe gehört aber mehr als die bloße Zurschaustellung eines Lebensgefühls, das lediglich durch bestimmte gemeinsam gehörte Musik und Tanz geäußert wird. Denn in diesen Fällen wird das Zusammentreffen der Teilnehmer durch nichts anderes als durch den Wunsch nach gemeinsamer Unterhaltung bestimmt. Solche durch andere Grundrechte (Art. 2 GG) geschützte Veranstaltungen fallen nicht mehr unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Die Versammlungsfreiheit gehört ebenso wie die Meinungsfreiheit zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens und ist für die freiheitliche und demokratische Staatsordnung konstituierend, gerade deshalb, weil sie als Freiheit der kollektiven Meinungskundgabe zu verstehen ist (vgl. BVerfGE 69, 315 [344 f.]). Aus dieser Funktion der Versammlungsfreiheit im demokratischen Gemeinwesen als Mittel zur gemeinsamen körperlichen Sichtbarmachung von Überzeugungen und Meinungen folgt der hohe Rang des Grundrechts, dem gegenüber Rechte anderer (z.B. von Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und Gewerbetreibenden) zurücktreten müssen. Dieser hohe Stellenwert des Versammlungsgrundrechts verbietet es zugleich, dessen Schutzumfang weiter auszudehnen, als der Zweck der Schutzgewährung es erfordert. Würde man auch die bloße Zurschaustellung eines durch Musik und Tanz ausgedrückten Lebensgefühls ausreichen lassen, hätte dies zwangsläufig zur Folge, dass der hohe Rang der Versammlungsfreiheit im Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft verloren ginge.

Nach diesen Grundsätzen kann die „Fuckparade 2001” nicht als Versammlung angesehen werden, weil die Veranstaltung nach dem Gesamteindruck den Charakter einer rein unterhaltenden, öffentlichen Massenparty trägt, während das Element der Meinungskundgabe völlig in den Hintergrund tritt.

Dies ergibt sich schon aus den äußeren Bedingungen: Der Antragsteller erwartet ca. 10 000 Teilnehmer, die auf den vorgesehenen Wegstrecken von ca. 40 bis 50 Aufzugswa...

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