Entscheidungsstichwort (Thema)
Spaßveranstaltungen als Versammlung. „Fuckparade”. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung
Beteiligte
1. Rechtsanwälte Niko Härting und Koll. |
2. Rechtsanwälte Prof. Dr. Konrad Redeker und Koll. |
Verfahrensgang
Tenor
Die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen werden abgelehnt.
Tatbestand
A.
Die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen betreffen für sofort vollziehbar erklärte Entscheidungen des Polizeipräsidenten in Berlin, die „Fuckparade” und die „Love Parade” nicht als Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes anzusehen.
I.
Verfahren 1 BvQ 28/01
Mit Schreiben vom 19. März 2001 meldete der Antragsteller zu 1 bei dem Polizeipräsidenten in Berlin für den 14. Juli 2001 die „Fuckparade” als Gegenveranstaltung zur „Love Parade” an. Die „Fuckparade” soll zwischen 14 und 24 Uhr in Form eines Sternmarsches auf drei Routen zum Alexanderplatz führen, auf dem die Abschlussveranstaltung geplant ist. Zu der seit 1997 jährlich stattfindenden „Fuckparade” werden etwa 10.000 Teilnehmer erwartet, die von 40 bis 50 Wagen begleitet werden sollen, von denen aus Techno-Musik gespielt wird. Während des Verlaufs der Veranstaltung sind keine Redebeiträge geplant. Vorgesehen ist allerdings die Verteilung von 20.000 Handzetteln, die sich mit plakativen Formulierungen gegen die Kulturpolitik der Stadt Berlin und gegen die „Love Parade” als kommerzielle Veranstaltung richten.
Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 14. Mai 2001 teilte der Polizeipräsident in Berlin dem Antragsteller zu 1 mit, dass die in Rede stehende Veranstaltung keine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes sei. Das Schreiben vom 19. März 2001 könne nicht als Anmeldung einer Versammlung entgegengenommen werden. Das Verwaltungsgericht Berlin stellte mit Beschluss vom 28. Juni 2001 – 1 A 166.01 – die aufschiebende Wirkung des eingelegten Widerspruchs des Antragstellers zu 1 gegen diesen Bescheid wieder her. Zwar könne die für die Einordnung als Versammlung unverzichtbare Meinungsäußerung nicht bereits in dem Abspielen der Musik und dem Tanz der Veranstaltungsteilnehmer gesehen werden. Auch die Fortbewegung der Teilnehmer, die eine Rückeroberung der Stadtviertel durch subkulturelle Minderheiten versinnbildlichen solle, erschließe sich dem unbefangenen Betrachter nicht als Meinungsäußerung. Die Veranstaltung habe gleichwohl deshalb Versammlungscharakter, weil die Verbreitung zahlreicher Handzettel beabsichtigt sei, auf denen das Anliegen der Veranstaltung relativ ausführlich und für jedermann verständlich dargestellt werde. Vor diesem Hintergrund komme der „Fuckparade” nicht ausschließlich das Gepräge einer Spaßveranstaltung zu, deren Zweck in keiner Weise auf die Vermittlung bestimmter Inhalte angelegt sei. Dem Element der Meinungskundgabe werde vielmehr ausreichend Rechnung getragen.
Das Oberverwaltungsgericht änderte diese Entscheidung durch den angegriffenen Beschluss ab und wies den Eilantrag zurück. Zur Begründung führte es aus, dass die geplante Veranstaltung nicht als Versammlung angesehen werden könne, weil sie nach dem Gesamteindruck den Charakter einer rein unterhaltenden öffentlichen Massenparty trage, während das Element der Meinungskundgabe völlig in den Hintergrund trete. An dieser Beurteilung ändere auch die beabsichtigte Verteilung von Handzetteln nichts. Das Schwergewicht der Veranstaltung liege eindeutig auf dem Gebiet der Unterhaltung. Eine Unterhaltungsveranstaltung verliere nicht dadurch ihren Charakter, dass währenddessen mehr oder weniger nichts sagende Parolen verbreitet würden.
Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG rügt der Antragsteller zu 1 die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 GG. Das Oberverwaltungsgericht spreche der „Fuckparade” zu Unrecht die Versammlungseigenschaft ab. Nach einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung schütze Art. 8 GG vielfältige Formen des gemeinsamen Verhaltens. Die „Fuckparade” mache durch nonverbale und verbale Ausdrucksformen die Meinung der gesamten Teilnehmer sichtbar. Sie stelle eine kollektive Meinungskundgabe durch Musik und Aktionen dar. Die Musik sei dabei Inhalt und Mittel der Meinungsäußerung. Die Verteilung der Handzettel unterstütze den Demonstrationscharakter; sie könne nicht als isoliertes Element betrachtet werden.
II.
Verfahren 1 BvQ 30/01
Die Antragstellerin zu 2 organisiert seit 1989 die jährlich in Berlin stattfindende „Love Parade”. Seit 1996 findet die Veranstaltung auf der Straße des 17. Juni entlang des Tiergartens statt. Die diesjährige, ursprünglich für den 14. Juli 2001 vorgesehene, jetzt für den 21. Juli 2001 geplante Veranstaltung meldete die Antragstellerin zu 2 mit Schreiben vom 13. Oktober 2000 beim Polizeipräsidenten in Berlin als Versammlung an. Nachdem die Durchführung der Veranstaltung wegen einer bereits zuvor für den gleichen Zeitraum angemeldeten Versammlung zum Thema „Der Tiergarten gehört allen Berlinern” zunächst untersagt worden war, teilte der Polizeipräsident in Berlin schließlich durch Bescheid vom 22. Mai 2001 mit, dass die Anmeldung der Veranstaltung als Versammlung nicht entgegengenommen werde. Die „Love Parade” sei eine reine Musikveranstaltung und weise nicht den für eine Versammlung maßgeblichen verbindenden Zweck der Meinungsbildung und -äußerung auf.
Hiergegen gerichtete Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wies das Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom 28. Juni 2001 zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, dass es für die Qualifizierung der „Love Parade” als Versammlung am konstitutiven Element der Meinungskundgabe fehle. Musik und Tanz könnten zwar nonverbale Kommunikation darstellen, sie seien aber vorliegend für sich genommen nicht auf eine Meinungskundgabe gerichtet. Zudem sei die Versammlungseigenschaft auch deshalb zu verneinen, weil es sich bei der „Love Parade” um eine kommerzielle Veranstaltung handele. Es sei nicht gerechtfertigt, rein wirtschaftlich motivierte Zusammenkünfte von Menschen verfassungsrechtlich zu privilegieren.
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde wurde vom Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. Juli 2001 abgelehnt. Der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts begegne keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit. Insbesondere sei dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass der „Love Parade” das für die Erfüllung des Versammlungsbegriffs konstituierende Element einer nach außen sichtbar werdenden gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung fehle. Würde man die bloße Zurschaustellung eines durch Musik und Tanz ausgedrückten Lebensgefühls ausreichen lassen, hätte dies zwangsläufig zur Folge, dass der hohe Rang der Versammlungsfreiheit im Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft verloren ginge. Ob daneben auch der kommerzielle Charakter der „Love Parade” der Eigenschaft einer öffentlichen Versammlung entgegenstehe, könne danach offen bleiben.
Zwischenzeitlich hat die Antragstellerin zu 2 für die Durchführung der „Love Parade” eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis erhalten.
Die Antragstellerin zu 2 macht mit ihrem Eilantrag nach § 32 BVerfGG eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 8 GG geltend. In den angegriffenen Entscheidungen seien Reichweite und Bedeutung der Versammlungsfreiheit verkannt worden, weil die Gerichte von einem zu engen Versammlungsbegriff ausgegangen seien. Für eine Versammlung sei es ausreichend, wenn mehrere Personen zusammenträfen und ihr Zusammensein von einem dahingehenden gemeinsamen Willen getragen sei. Politische, auf Meinungskundgabe gerichtete Demonstrationen seien ein wichtiger, aber keineswegs der einzige Fall einer von Art. 8 GG geschützten Versammlung. Selbst bei Annahme eines engeren Versammlungsbegriffs falle die „Love Parade” aber in den Schutzbereich des Grundrechts, weil sie und ihre Teilnehmer eine Meinung kund gäben. Dass die Versammlung sich nicht herkömmlicher Formen bediene, sei für den grundrechtlichen Schutz unerheblich. Im Übrigen ende die Veranstaltung auch mit einer Rede. Dem Staat stehe es nicht zu, Meinungsäußerungen einer Versammlung inhaltlich zu bewerten. Genau dieses sei aber der Fall, wenn das Oberverwaltungsgericht den Maßstab eines „Außenstehenden” bemühe, um Ausdrucksformen und Ziele der „Love Parade” zu beurteilen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen haben keinen Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten ist. Bei – wie hier – offenem Ausgang noch möglicher Verfassungsbeschwerdeverfahren muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweiligen Anordnungen nicht ergingen, die Verfassungsbeschwerden aber Erfolg hätten, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrten einstweiligen Anordnungen erlassen würden, den Verfassungsbeschwerden aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; 91, 252 ≪257 f.≫; 96, 120 ≪128 f.≫; stRspr).
Im Zuge dieser Abwägung ist es in Verfahren der vorliegenden Art für das Bundesverfassungsgericht regelmäßig ausgeschlossen, in eine eigenständige Ermittlung und Würdigung des dem Eilrechtsschutzbegehren zu Grunde liegenden Sachverhalts einzutreten. In solchen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht seiner Abwägung in aller Regel die in der angegriffenen Entscheidung enthaltenen Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen zu Grunde zu legen (vgl. hierzu etwa BVerfGE 34, 211 ≪216≫; 36, 37 ≪40≫). Anderes gilt nur, wenn es offensichtlich ist, dass die getroffenen Tatsachenfeststellungen fehlsam sind oder die vorgenommene rechtliche Bewertung der Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts der betroffenen Grundrechtsnorm nicht tragfähig ist (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 1411 ≪1411 f.≫).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze führt die Abwägung vorliegend in beiden Fällen zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.
Es ist weder dargelegt worden noch erkennbar, dass die tatsächlichen Feststellungen der Fachgerichte im Hinblick auf die Einzelelemente der beabsichtigten Veranstaltungen und ihre Charakterisierung offensichtlich unzutreffend sind. Die Argumentation des Oberverwaltungsgerichts ist auch in rechtlicher Hinsicht in beiden Fällen tragfähig. Dies gilt insbesondere für die Ausführungen zum Versammlungsbegriff und die Verneinung der Versammlungseigenschaft für beide hier in Rede stehenden Veranstaltungen.
a) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, den Begriff der Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes in Anlehnung an den verfassungsrechtlichen Versammlungsbegriff zu deuten und auf Veranstaltungen zu begrenzen, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪343≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, DVBl 2001, S. 901 f.; BVerwGE 82, 34 ≪38 f.≫). Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit erhält seine besondere verfassungsrechtliche Bedeutung in der freiheitlichen demokratischen Ordnung des Grundgesetzes wegen des Bezugs auf den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung. Namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten hat die Freiheit kollektiver Meinungskundgabe die Bedeutung eines grundlegenden Funktionselements. Das Grundrecht gewährleistet insbesondere Minderheitenschutz und verschafft auch denen Möglichkeiten zur Äußerung in einer größeren Öffentlichkeit, denen der direkte Zugang zu den Medien versperrt ist (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪346 f.≫). Dementsprechend sind Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Die darauf bezogene Versammlungsfreiheit genießt einen gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG gesteigerten Schutz. Insbesondere unterliegt die Versammlungsfreiheit wegen der konstitutiven Bedeutung des Grundrechts für die Demokratie nur den in Art. 8 Abs. 2 GG vorgesehenen Schranken. Für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 GG reicht es nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrem gemeinschaftlichen Verhalten durch irgendeinen Zweck miteinander verbunden sind.
Der Gesetzgeber hat die zulässigen Beschränkungen der Versammlungsfreiheit im Versammlungsgesetz, vor allem dessen §§ 14 und 15, in enger Weise gefasst. Dies wird in Rechtsprechung und Literatur dahingehend verstanden, dass das Anmeldeerfordernis (§ 14 VersG) im Zusammenspiel mit der Auflagemöglichkeit (§ 15 VersG) sonstige Genehmigungs- und Erlaubnisakte der allgemeinen Rechtsordnung, die der Gefahrenabwehr dienen, ersetzt (vgl. BVerwGE 82, 34 ≪38 f.≫; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl., 2000, § 14 Rn. 34; Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, 1992, § 15 Rn. 57). Dies ist Ausdruck der Bevorzugung von Versammlungen gegenüber sonstigen Zusammenkünften. Darüber hinaus sind die verwaltungsrechtlichen Normen inhaltlich unter Berücksichtigung des Art. 8 GG auszulegen, und die Versammlungsbehörde ist zu einer versammlungsfreundlichen Kooperation mit dem Veranstalter einer Versammlung verpflichtet (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪357≫).
b) Angesichts solcher die Versammlung begünstigender rechtlicher Regelungen ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn das Oberverwaltungsgericht den Begriff nicht weiter ausdehnt, als zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist. Dabei berücksichtigt das Gericht, dass Rechte anderer (zum Beispiel von Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und Gewerbetreibenden) häufig wegen des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit zurücktreten. Dies ist jedenfalls dann hinzunehmen, wenn der Versammlungsbegriff eng gefasst wird. Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen unter ihn ebenso wenig wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Spaß und Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, einerlei, ob der dort vorherrschende Musiktyp ein Lebensgefühl von so genannten Subkulturen ausdrückt oder dem Mehrheitsgeschmack entspricht.
c) Daher ist es verfassungsrechtlich tragfähig, die „Fuckparade” und die „Love Parade” nicht als Versammlungen einzuordnen. Dies ist jedenfalls insoweit unbedenklich, als es sich bei beiden Veranstaltungen um Musik- und Tanzereignisse handelt. Die Einordnung ist aber auch insoweit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, als mit ihnen Kundgabezwecke verbunden werden.
aa) In den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fallen Versammlungen zwar auch dann, wenn sie ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen. Dies ist zu bejahen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken.
Von der Versammlungsfreiheit sind solche Veranstaltungen auch dann erfasst, wenn sie sich zum Beispiel dafür einsetzen, dass bestimmte Musik- und Tanzveranstaltungen auch in Zukunft ermöglicht werden. Geschützt durch Art. 8 GG ist in solchen Fällen die kommunikative Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, um auf die zukünftige Durchführung solcher Veranstaltungen hinzuwirken, nicht aber das Abhalten der Musik- und Tanzveranstaltung selbst.
bb) Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird jedoch nicht allein dadurch insgesamt zu einer Versammlung im Sinne des Art. 8 GG, dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen. Es begegnet danach keinen verfassungsrechtlich durchgreifenden Bedenken, dass die vorhandenen Elemente öffentlicher Meinungskundgabe vom Oberverwaltungsgericht weder bei der „Fuckparade” noch bei der „Love Parade” als ausreichend angesehen werden, um die jeweilige Veranstaltung in ihrer Gesamtheit als Versammlung zu qualifizieren.
Die Anzeichen für öffentliche Meinungskundgaben haben allerdings das Verwaltungsgericht im Verfahren betreffend die „Fuckparade” veranlasst, die Veranstaltung als Versammlung einzuordnen. Das Gericht hat insoweit auf den Inhalt der zahlreichen verteilten Handzettel verwiesen, auf denen das kommunikative Anliegen der Veranstalter relativ ausführlich wiedergegeben sei. Die Veranstaltung wende sich gegen die Verdrängung von Anhängern bestimmter Techno-Musikstile aus angestammten Stadtvierteln, gegen die Schließung von Clubs und die Auflösung von Partys, gegen die „Reinigung” der Hauptstadt „von allem, was anders ist” und gegen die kommerzialisierte „Love Parade” als „Pseudo-Demo”. Hierbei handle es sich nicht um sinnentleerte Schlagworte, sondern um näher begründete Anliegen des Antragstellers zu 1. Das Anliegen werde mit der erforderlichen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, so dass bei der „Fuckparade” das Element der Meinungskundgabe jedenfalls nicht völlig in den Hintergrund trete.
Das Oberverwaltungsgericht bestreitet diese tatsächlichen Umstände nicht, bewertet sie aber dahingehend, dass sie der Veranstaltung das Gesamtgepräge als Massenspektakel oder Volksbelustigung nicht nehmen. Das Schwergewicht der Veranstaltung liege – wie auch bei der „Love Parade” – auf dem Gebiet der Unterhaltung. Die Meinungskundgabe sei nur beiläufiger Nebenakt.
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die rechtliche Beurteilung danach zu richten, ob die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist oder ob der Spaß-, Tanz- oder Unterhaltungszweck im Vordergrund steht. Bleiben Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird.
Bei der Frage, welches Gesamtgepräge einer Veranstaltung zukommt, ist zwar zu berücksichtigen, dass die Beteiligten berechtigt sind, selbst darüber zu bestimmen, was sie zum Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung machen und welcher Formen der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen wollen. Die rechtliche Einordnung dieses Verhaltens als Versammlung aber steht den dazu berufenen Gerichten zu. Es ist dem Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren grundsätzlich verwehrt, seine Beurteilung an die Stelle der von den orts- und sachnäheren Fachgerichten vorgenommenen zu stellen. In den vorliegenden Fällen sind die rechtlichen Bewertungen jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft. Abschließend kann die rechtliche Einordnung nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
d) Nach alledem bleiben die Eilanträge ohne Erfolg. Zur Abwehr schwerer Nachteile ist die einstweilige Anordnung in beiden Fällen nicht geboten. Auch dem Antragsteller zu 1 bleibt die Möglichkeit, für die beabsichtigte Veranstaltung eine Sondernutzungserlaubnis zu beantragen. Deren Erteilung sollte im Hinblick auf den langwierigen, die rechtliche Einordnung der Veranstaltung betreffenden Entscheidungsprozess nicht allein aus zeitlichen Gründen versagt bleiben.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 635206 |
VA 2001, 192 |