Umweltaktivistin muss nach Abseilaktion auf Autobahn für Polizeieinsatz zahlen
Das VG Gießen hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Umweltaktivisten für die Kosten eines von ihnen durch eine Protestaktion im Bereich einer Bundesautobahn ausgelösten Polizeieinsatzes aufkommen müssen.
Spektakuläre Abseilaktion auf Bundesautobahn
Die Umweltaktivisten hatten sich im Oktober 2020 von einer Brücke der Bundesautobahn A3 in der Nähe von Wiesbaden abgeseilt. Durch ihre Aktion wollten sie auf die Umweltbelastung durch den Autobahnverkehr aufmerksam machen. Die Aktion führte zu einem nicht ganz einfachen Polizeieinsatz. Spezialeinsatzkräfte der Wiesbadener Polizei beendeten die Aktion und entfernten die Aktivisten von der Autobahnbrücke.
Aktivistin befürchtet Aushöhlung des Versammlungsrechts
Nicht gerechnet hatten die Umweltaktivisten mit dem anschließend gegen sie ergangenen Kostenbescheid für die polizeilichen Maßnahmen in Höhe von 13.393,90 EUR. Diese Kosten wollte eine Aktivistin auf keinen Fall tragen: Sie klagte mit der Begründung, die Abseilaktion sei eine vom Recht auf Demonstrationsfreiheit geschützte öffentliche Versammlung gewesen. Polizeieinsätze im Rahmen von Versammlungen dürften den Versammlungsteilnehmern nicht in Rechnung gestellt werden, denn sonst würde das gemäß Art. 8 GG garantierte Versammlungsrecht ausgehöhlt.
Klage mit Verhältnismäßigkeit des Einsatzes begründet
Im übrigen vertrat die Klägerin die Auffassung, der Polizeieinsatz sei unnötig gewesen. Für die Verkehrsteilnehmer auf der Autobahn haben zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden. Der Einsatz von Spezialkräften sei unverhältnismäßig und daher rechtswidrig gewesen. Auch insoweit sei der Kostenbescheid aufzuheben.
Einsatz als Folge eines vollziehbaren Platzverweises
Das VG folgte dieser Argumentation der Klägerin nicht. Auf die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes kommt es nach Auffassung des Gerichts für die Entscheidung über den Kostenbescheid nicht an. Der Polizeieinsatz beruhe auf einem Verwaltungsakt der Polizei, nämlich dem vor dem Einsatz gegenüber der Klägerin erteilten Platzverweis. Der Aufforderung, die Autobahnbrücke zu verlassen, sei sie nicht nachgekommen. Damit habe sie sich einem vollziehbaren Verwaltungsakt widersetzt.
Vollstreckung des Verwaltungsaktes war rechtmäßig
Die Polizeikräfte hatten nach Auffassung des VG aufgrund der Vollziehbarkeit des ausgesprochenen Platzverweises und der Verweigerungshaltung der Klägerin zu Recht unmittelbaren Zwang angewendet und die Aktivisten von der Brücke entfernt. Dieses Verhalten der Polizei sei vollstreckungsrechtlich nicht zu beanstanden. Entscheidend für die Rechtmäßigkeit sei allein die sofortige Vollziehbarkeit des erteilten Platzverweises, ohne dass es aus vollstreckungsrechtlicher Sicht auf die Rechtmäßigkeit des Platzverweises ankomme.
Abseilaktion mit hohem Gefahrenpotenzial
Das VG stellte ergänzend klar, dass die Erteilung des Platzverweises rechtmäßig gewesen sei. Das Abseilen von einer Autobahnbrücke habe erhebliche Auswirkungen auf den fließenden Verkehr. Da die Kraftfahrzeuge sich auf der Autobahn mit hoher Geschwindigkeit bewegten und Autofahrer durch eine solche Aktion in erheblicher Weise abgelenkt und irritiert werden könnten bis hin zu einer plötzlichen Bremsung, sei die Aktion mit einem hohen Gefahrenpotenzial behaftet gewesen. Dies habe die Polizei nicht tatenlos hinnehmen können, sondern geradezu eine Pflicht zum Einschreiten gehabt.
Keine Versammlungsfreiheit an nicht öffentlich zugänglichen Orten
Das Recht auf Versammlungsfreiheit konnte die Klägerin nach Auffassung des VG für ihre Aktion nicht in Anspruch nehmen. Dies folge schon daraus, dass die Aktion nicht an einem für die Allgemeinheit öffentlich zugänglichen Orten durchgeführt worden sei. Der Luftraum über der Autobahn, in dem die Aktion stattgefunden habe, sei kein für eine öffentliche Versammlung und Demonstration geeigneter Ort. Aufgrund der Gefährlichkeit sei die Aktion auch insgesamt nicht als friedliche Versammlung, sondern als rechtswidrige Gefährdung des öffentlichen Straßenverkehrs und damit der Allgemeinheit zu werten.
Kostenbescheid hätte noch höher ausfallen müssen
Schließlich wies das VG noch darauf hin, dass der Kostenbescheid rechtlich tatsächlich nicht beanstandungsfrei sei. Die Behörde habe die Kosten deutlich zu niedrig angesetzt, in Wirklichkeit seien die entstandenen Kosten noch deutlich höher gewesen. Die hieraus folgende Rechtswidrigkeit des Kostenbescheids wirke sich aber nicht zum Nachteil der Klägerin aus, so dass sie insoweit nicht in ihren Rechten verletzt sei.
Berufung ausdrücklich zugelassen
Das VG hat mit dieser Begründung die Klage gegen den Kostenbescheid abgewiesen. Wegen der berührten grundsätzlichen Rechtsfragen hat das VG ausdrücklich das Rechtsmittel der Berufung zum hessischen VGH zugelassen.
(VG Gießen, Urteil v. 4.3.2022, 4 K 2855/21)
HintergrundDie Kostentragungspflicht für Polizeieinsätze im Rahmen der Auflösung von Versammlungen ist immer wieder Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen. Versammlungsrecht darf durch Kostenbescheide nicht ausgehöhlt werdenDas durch Art. 8 GG geschützte Versammlungsrecht verbietet es nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht grundsätzlich, die im Rahmen rechtmäßiger Versammlungen entstehenden Kosten für polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr dem Veranstalter in Rechnung zu stellen. Die Kostenerhebung muss hiernach aber verhältnismäßig und so ausgestaltet sein, dass Versammlungsteilnehmer dadurch nicht von der Teilnahme an einer grundgesetzlich geschützten Versammlung abgehalten werden (BVerfG, Beschluss v. 24.10.2007, 1 BvR 943/02). Auch eine generelle Gebührenpflicht für Amtshandlungen aus Anlass von Versammlungen würde nach dieser Rechtsprechung dem Charakter des Art. 8 GG als Freiheitsrecht widersprechen. Kostenbescheide bei unrechtmäßigen VersammlungenAnders verhält es sich bei Polizeimaßnahmen im Rahmen nicht genehmigter, unrechtmäßiger Versammlungen bzw. Aktionen. So sehen die Gerichte regelmäßig die Kostenabwälzung für das polizeiliche Entfernen von Personen nach Erteilung eines Platzverweises als rechtmäßig an. So hat das VG Stuttgart die Geltendmachung der Kosten für das Wegtragen von Personen anlässlich einer Tunnelblockade im Rahmen des Projekts „Stuttgart 21“ gegenüber den betroffenen Versammlungsteilnehmern für rechtmäßig erachtet, ebenso das VG Lüneburg die Kosten für die Ingewahrsamnahme von Personen im Zusammenhang mit Gleisblockaden anlässlich der Castortransporte im Landkreis Lüchow-Dannenberg im Jahr 2001 (VG Stuttgart, Urteil v. 21.7.2015, 5 K 5066/14; VG Lüneburg, Urteil v. 23.1. 2004, 3 A 120/02). |
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