Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Flüchlingsstatus für tschetschenische Volkzugehörige aus der Russischen Föderation
Leitsatz (amtlich)
Eine landesweite Kollektivverfolgung aller tschetschenischen Volkszugehörigen im (gesamten) Staatsgebiet der Russischen Föderation kann bei Anlegung der hierzu in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten strengen Maßstäbe ungeachtet der sich im Gefolge von Terroranschlägen in der jüngeren Vergangenheit verschärfenden Spannungen und Vorbehalte nicht festgestellt werden. Insofern lässt sich nach dem vorliegenden Auskunftsmaterial weder ein staatliches (russisches) Verfolgungsprogramm mit dem Ziel einer physischen Vernichtung und/oder der gewaltsamen Vertreibung aller Tschetschenen aus dem Staatsgebiet nachweisen, noch lassen bekannt gewordene Einzelverfolgungsmaßnahmen mit Blick auf die zahlenmäßige Größe der die bei weitem größte der im Nordkaukasus beheimateten Ethnien stellenden Gruppe der Tschetschenen die Feststellung einer die Annahme einer landesweiten Gruppenverfolgung gebietenden Verfolgungsdichte zu.
Ob bezogen auf das Territorium von Tschetschenien das Vorliegen der genannten Voraussetzungen für die Annahme einer „regionalen Gruppenverfolgung” anzunehmen ist, bleibt offen. Selbst bei Anlegung des in der Rechtsprechung für die Fälle der so genannten Vorverfolgung im Heimatland entwickelten „herabgestuften” Prognosemaßstabs für die Feststellung einer Rückkehrgefährdung steht den aus Tschetschenien stammenden Bürgern der Russischen Föderation russischer Volkszugehörigkeit aber auch ethnischen Tschetschenen in anderen Regionen der Russischen Föderation eine auch unter wirtschaftlichen Aspekten zumutbare und für die Betroffenen tatsächlich erreichbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung, die mit Blick auf den im Flüchtlingsrecht geltenden Grundsatz der Subsidiarität des Schutzes vor politischer Verfolgung im Zufluchtsstaat, hier in der Bundesrepublik Deutschland, einen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausschließt.
Auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen in diesen Fällen nicht vor. Insoweit ist, was die Geltendmachung einer Gefährdung durch die allgemeine wirtschaftliche Versorgungslage angeht, zusätzlich die vom Bundesgesetzgeber beibehaltene Sperrwirkung nach den §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a AufenthG für die Berücksichtigungsfähigkeit von so genannten Allgemeingefahren für die Bevölkerung oder auch nur Bevölkerungsgruppen im Herkunftsstaat zu beachten. Darüber hinausgehende humanitäre Gesichtspunkte, wie sie beispielsweise den Empfehlungen verschiedener Menschenrechtsgruppen, gegenwärtig auf eine Rückführung von tschetschenischen Volkszugehörigen in die Russische Föderation zu verzichten, zugrunde liegen, hat der Bundesgesetzgeber danach auch am Maßstab des Verfassungsrechts in zulässiger Weise den hierfür zuständigen politischen Entscheidungsträgern überantwortet.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die miteinander verheirateten Kläger reisten am 30.10.1998 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 3.11.1998 die Anerkennung als Asylberechtigte. Der Kläger ist russischer, die Klägerin tschetschenischer Volkszugehörigkeit.
Im Rahmen einer an 4.11.1998 durchgeführten persönlichen Anhörung führte der Kläger zur Stützung des Anerkennungsbegehrens aus, er sei von Beruf Kraftfahrer und habe im Heimatland – allerdings ohne feste Anstellung – Autos repariert. Im Alter von 7 Jahren sei er 1980 mit den Eltern nach Sali in Tschetschenien gezogen, wo er bis Dezember 1994 gelebt habe. Nach zwischenzeitlichen gemeinsamen Aufenthalten in Wolgograd und Moskau seien sie – die Kläger – im Mai 1997 kurz nach Tschetschenien zurückgekehrt. Dort hätten sie sich allerdings nur einen Monat aufgehalten, da es unmöglich gewesen sei, zu überleben. Sie hätten dann versucht, sich in Wolgograd oder Moskau, wo sie etwa ein Jahr gewesen seien, niederzulassen. Es sei eine schwierige Lage für sie gewesen, insbesondere weil sie aus Tschetschenien gekommen seien. In Wolgograd habe es überhaupt keine Arbeit gegeben, in Moskau nichts Geregeltes. Schließlich hätten sie auf einem Markt Lebensmittel verkauft. In ihrem Heimatland sei es für sie nicht mehr möglich gewesen, in Frieden zu leben. In Tschetschenien, wo er habe kämpfen sollen, habe man sie für Russen gehalten und dafür gehasst. In Russland sei man ihnen feindlich gesonnen gewesen, weil sie aus Tschetschenien gekommen seien. Die Menschen dort hätten den Kontakt mit ihnen gemieden und sie als tschetschenische Banditen beschimpft. In Moskau sei er deswegen mehrfach von der Polizei festgenommen, mehrere Tage lang festgehalten und dabei geschlagen worden. Zuletzt sei das im Mai 1998 der Fall gewesen, als er im Rahmen einer Personenkontrolle auf der Str...