Ukraine-Krieg stellt HR vor neue Fragen


Ukraine-Krieg stellt HR vor neue arbeitsrechtliche Fragen

In der Ukraine wird gekämpft. Das bleibt auch in deutschen Betrieben nicht folgenlos. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller sieht sich mit Fragen konfrontiert, von denen er nie gedacht hätte, dass er sie einmal beantworten muss.

Es ist eine so einfache und vermeintlich unschuldige Frage: Müssen wir einen ukrainischen oder einen russischen oder belarussischen Staatsbürger von der Arbeit freistellen, wenn er eingezogen wird und ihn wieder einstellen, wenn er zurückkehrt?

Die hässlichste Frage meiner Arbeitsrechts-Karriere

Das ist die hässlichste Frage, die ich meiner Zeit als Arbeitsrechtler - und das sind schon mehr als 35 Jahre – gestellt bekommen habe. Sachlich ist sie einfach zu beantworten: Die Regelungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes gelten nach § 16 Abs. 6 ArbPlSchG auch für in Deutschland beschäftigte Ausländer, die zum Kriegsdienst oder zur Wehrpflicht eingezogen werden. Das bedeutet, sie genießen Kündigungsschutz während der Zeit der Einberufung. Wenn, ja wenn sie Staatsangehörige der Vertragsparteien der Europäischen Sozialcharta sind.

Wenn wir die derzeit interessanteren Nachbarländer der überfallenen Ukraine anschauen, sind das zunächst die Ukraine selbst, dann Polen, Tschechien, Rumänien, Moldawien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen und Bulgarien.

Absurdistan ist so nah…

Belarus finden wir nicht in der Liste – aber: die russische Föderation. Im Jahr 2000 wurde Russland also erlaubt, die Charta ebenfalls zu unterzeichnen. Es ist sicher ein Zufall – aber in Deutschland war damals Gerhard Schröder, der Freund des lupenreinen Demokraten Putin unser Kanzler.

Arbeitsrechtlich müssen wir also, wenn es soweit kommt, dulden, dass russische Staatsangehörige für einen Angriffskrieg eines russischen Autokraten besonderen Kündigungsschutz genießen, während die überfallenen Ukrainer eben denselben Schutz genießen. Und die zur Wehr gerufenen in Deutschland beschäftigten Staatsangehörigen der in Alarmbereitschaft gebrachten umliegenden Mächte ebenfalls.

So funktioniert nun einmal Arbeitsrecht. Vermutlich ist das auch nicht ganz falsch, denn in vielen der unterzeichnenden Staaten würden bei Verweigerung des Wehr- oder Kriegsdienstes die Einberufenen harte Strafen treffen. Wegen Wehrdienstverweigerung ein Leben lang in Sibirien zu fristen, ist da vermutlich noch die geringste von ihnen. In der Abwägung der gegenseitigen Interessen scheint das Ergebnis also durchaus billigenswert. Wäre da nicht die Abstrusität, dass wir in Deutschland damit alle Parteien – Kriegstreiber, Überfallene und Wehrhafte – unterstützen.

Solche Fragestellungen gibt es beispielsweise in der Schweiz und in den USA nicht. Die Schweiz hat die Charta nicht unterschrieben. Und in den USA gibt es grundsätzlich keinen Kündigungsschutz, sodass sich diese Problemlage überhaupt nicht stellt.

(Arbeitsrechtliche) Abhilfe – aber wie?

Es gibt noch weitere Problemstellungen, die den Arbeitsrechtler im Unternehmen dieser Tage umtreiben: Ukrainer können derzeit für bis zu 90 Tage einreisen. Eine Verlängerung um bis zu 90 Tage ist möglich. Kurz, viel zu kurz. Aber Abhilfe gibt es durch die Massenzufluchts-Richtlinie, die nun "scharf geschalten" ist. Aus der Ukraine Geflüchtete können einen Aufenthaltstitel erhalten. Der Arbeitsmarktzugang – und damit der Zugang zu Ausbildung – ist somit geöffnet.

Das ist erfreulich. Ist es das? Und reicht das aus? Der Aufenthaltstitel gilt nur für ein Jahr. Er kann zwar verlängert werden – aber zum einen ist das nur ein "kann" und zum anderen gibt es eine Begrenzung "auf bis zu drei Jahre". Ein Unternehmen, das bereit ist, aus der Ukraine Geflüchtete auszubilden, kann aber erstens nicht sofort beginnen, denn die Geflüchteten müssen in die Region des Ausbildungsbetriebes ziehen, müssen zunächst identifiziert werden, Papiere (zum Beispiel Schulzeugnisse) müssen besorgt werden und zudem sollte diesen Menschen auch ein paar Wochen Ruhe gegönnt werden. Und zweitens dauern bis auf eine kleine Reihe von Ausbildungen, die in zwei bis zweieinhalb Jahren abgeschlossen werden können, die meisten Ausbildungen drei bis dreieinhalb Jahre. Den Arbeitgebern und Ausbildenden kann kaum verübelt werden, dass sie Wert darauf legen, dass die Auszubildenden von vorneherein die gesamte Ausbildung durchlaufen können.

Das Gebot der Stunde: Handeln. Jetzt. Und nicht Hinausschieben.

Daher tut Handeln mehr als Not - und zwar schnell und sicher. Es muss Rechtssicherheit hergestellt werden, dass aus der Ukraine vor dem Angriffskrieg Geflüchtete, die eine Ausbildung machen wollen, diese auch komplett in Deutschland durchlaufen können. Das sind voraussichtlich durchgängig jüngere Menschen, viele jüngere Frauen. Viele von ihnen sind psychisch vom Überfall schwer gezeichnet. Sie lassen ihre Familien häufig zu Hause – die wehrfähigen Männer, die das Land nicht verlassen dürfen, und die alten Menschen, die das Land nicht verlassen können. Und sie werden wichtig sein für die Zukunft einer europäischen Ukraine. Sie werden Ausbildung, Knowhow und Demokratie zurückbringen in ihr Vater- oder Mutterland.

Dafür muss der Gesetzgeber handeln – schnell handeln. Ja, das ist qualitativ etwas anderes als die 55. Änderung der Verordnung zur Änderung der Covid-Verordnung. Aber nach all den Absurditäten des Arbeitsplatzschutzgesetzes würde mir das als Unternehmens-Arbeitsrechtler ein wenig Befriedung geben. Zwar nur innere Befriedung, aber immerhin.

In diesen Zeiten kann man es sich nicht leisten, unpolitisch zu sein. Verbrechen müssen Verbrechen genannt werden dürfen, Überfall Überfall und Krieg Krieg. Ich hoffe daher sehr, dass die Leserinnen und Leser dieser Kolumne mir das nachsehen mögen.

Und ich bin auch bereit, dafür den (arbeitsrechtlichen) Preis einer immer noch nicht umgesetzten Arbeitszeitrichtlinie zu zahlen und noch ein paar Gesetze, die der Eine oder die Andere bald erwarten würden. Also: Handeln. Jetzt!


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.