Wie Unternehehmen Geflüchte aus der Ukraine unterstützen

Während in der Ukraine Krieg herrscht, zeigen sich deutsche Unternehmen hilfsbereit wie selten zuvor. Während einige sich bei der Erstversorgung von Geflüchteten engagieren, bieten andere bereits Arbeitsplätze an. Erfahrungen aus der Geflüchtetenkrise 2015/16 erweisen sich dabei als nützlich. Doch die Integration tausender Ukrainerinnen und Ukrainer in den Arbeitsmarkt hat gerade erst begonnen.

Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist erst ein paar Tage alt, als die TÜV Nord Group als Reaktion bereits eine interne Task Force gründet. Die Lage soll bewertet und zentrale Themen gebündelt werden: Wie geht man als global aufgestelltes Unternehmen mit Kunden in 100 Ländern mit der Krise um, wie können Mitarbeitende, die helfen wollen, unterstützt werden, welchen Einfluss haben möglicherweise die Sanktionen gegen Russland und wie kann es gelingen, Geflüchteten in Deutschland eine Lebensperspektive aufzuzeigen und sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

Geflüchteten beim Ankommen helfen

"Die Aufgabe ist vielschichtig", sagt Marlis Koop, Leiterin Labor Relations, Compensation und Benefits bei TÜV Nord und in der Task Force verantwortlich für HR-Themen. "Natürlich geht es auch um Integration auf dem Arbeitsmarkt. Aber das steht nicht an erster Stelle. Im Moment kommen vor allem Frauen mit Kindern. Wir müssen den Menschen zunächst ein Ankommen ermöglichen und ihren Alltag stabilisieren." Dabei profitiert das Unternehmen von der eigenen Struktur. Die Tochter TÜV Nord Bildung bietet den Geflüchteten neben dem Weg auf den Arbeitsmarkt unter anderem auch eine psychosoziale Betreuung an. "Wir haben den Vorteil, dass wir ein komplettes Paket zur Verfügung stellen können", sagt Koop.

Schätzungsweise 230.000 Menschen sind inzwischen aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Der Krieg im Osten Europas aber hat nicht nur in der Bevölkerung eine Welle der Hilfsbereitschaft in Gang gesetzt. "Ich finde es bemerkenswert, welche Solidarität und Anteilnahme nicht nur Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, sondern auch viele deutsche Unternehmen jetzt zeigen", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen kürzlich dem "Handelsblatt". Die Deutsche Bahn etwa, die Geflüchtete seit Wochen mit Verpflegung und kostenlosen Tickets versorgt, spricht von der größten Hilfsaktion in der Geschichte des Unternehmens. Dabei geht es nicht nur um Spenden, Lebensmittel, Transport und Wohnraum. Viele Firmen bemühen sich längst, den Geflüchteten eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt anzubieten.

Jobbörsen mit Stellenangeboten und Stellengesuchen

Behilflich dabei sind verschiedene spontan gegründete Jobportale wie etwa "UAtalents" oder "JobAidUkraine". Letzteres wurde ins Leben gerufen von den Geschäftsleuten Christian Weis und Marcus Diekmann. Etwa 10.000 Jobangebote sind nach Angaben einer Sprecherin auf der Internetseite inzwischen gelistet, von der Küchenhilfe bis zum IT-Experten in Voll- und Teilzeit oder auch freiberuflich. Rund 1.000 Geflüchtete seien bereits vermittelt worden. 

Die TÜV Nord Group hat bei "JobaidUkrain" inzwischen vier Stellenangebote eingestellt. Die Angebote richten sich insbesondere an Expertinnen und Experten aus dem IT-Bereich, etwa Security Experts, SAP-Developer und Full-Stack Developer. "Im Moment probieren wir das einfach mal aus und schauen, wer sich meldet", sagt Koop. Auch Bosch teilt mit, die Stellenbörse zu nutzen. Einige Bewerber hätten sich bereits gemeldet.

Viele Fachkräfte unter den Geflüchteten

Wie viele andere Unternehmen auch rechnet die TÜV Nord Group mit einer hohen Zahl qualifizierter Fachkräfte. Im Jahr 2015 hatten knapp 30 Prozent der 25- bis 64-Jährigen in der Ukraine einen tertiären Bildungsabschluss und nur etwa fünf Prozent maximal eine Grundschule besucht, schreibt das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln in einem Kurzbericht zur Fluchtmigration aus der Ukraine, der dem Personalmagazin vorliegt. "Damit dürfte die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt deutlich leichter fallen als bei anderen Geflüchteten", heißt es in dem vierseitigen Papier.

Vor allem die Digitalbranche samt Start-up-Szene gilt in der Ukraine als sehr lebendig. In Deutschland würden bereits Gespräche mit ersten Bewerbern in den Bereichen Pharma und IT/Data-Science laufen, teilt die Leverkusener Bayer AG auf Anfrage mit. Aber auch in der polnischen Hauptstadt Warschau, wo Bayer einen Digital Hub betreibt, sei man bereits mit Geflüchteten mit entsprechenden Qualifikationen in Kontakt. Als Grenzland zur Ukraine hat Polen besonders viele Menschen aus dem Kriegsgebiet aufgenommen.

Soziales Engagement treibt Unternehmen an

Einen immensen Zulauf seit Kriegsbeginn verzeichnet auch das "Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge" des Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). "Das Interesse der Unternehmen hat stark zugenommen", sagt Projektleiterin Sarah Strobel.  Normalerweise gebe es monatlich 20 bis 30 Neuanmeldungen, seit dem ersten März seien es bereits 90. Das Engagement sei vergleichbar mit 2016, als das Netzwerk in Folge des Stroms von Geflüchteten aus dem Kriegsgebiet in Syrien gegründet worden ist. Die deutliche Mehrheit, etwa 75 Prozent, bildeten kleine und mittelständische Firmen. Viele aber, erzählt Strobel, hätten nicht zuallererst die Stellenbesetzung im Sinn. "Wie auch 2016 geht es ihnen darum, zu spenden, zu helfen und Flagge zu zeigen." Das spiegelt auch eine Mitgliederbefragung wider, die das Netzwerk gerade erst veröffentlicht hat. Auf die Frage nach den Beweggründen, Geflüchtete in einem Betrieb aufzunehmen, bezeichneten 79 Prozent das soziale Engagement als Kernmotivation. Ebenso viel gaben an, dem Fach- und Hilfskräftemangel entgegenwirken zu wollen.

Erfahrungen und Strukturen aus der Flüchtlingskrise 2015/16 helfen

Offenbar haben die Jahre 2015 und 2016 auch die deutsche Unternehmenslandschaft nachhaltig verändert. Strukturen sind gewachsen und Erfahrungen gereift. Auch die Deutsche Post DHL Group profitiere davon, schreibt eine Sprecherin. Demnach hätten seit der im Herbst 2015 ins Leben gerufenen internen Flüchtlingsinitiative 17.000 geflüchtete Menschen in Deutschland beim Bonner Konzern ein Praktikum absolviert oder einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz gefunden. Und auch jetzt sei man dabei, Stellenangebote speziell für ukrainische Geflüchtete zu planen. Unkompliziert zu vermitteln seien Jobs in der Produktion, aber auch in Verteilzentren oder Lagerhäusern.

Auch Siemens greift auf Erfahrungen aus den Jahren 2015 und 2016 zurück. Damals hatte der Münchner Konzern unter anderem Förderklassen ins Leben gerufen, um jungen Geflüchteten mit Sprachkursen und Trainings unter anderem den Weg in eine Ausbildung zu bahnen. Nach Ostern, so der Plan, soll nun in der firmeneigenen Berufsschule in Berlin eine Willkommensklasse für ukrainische Geflüchtete starten, sagt eine Sprecherin. Auch weitere Förderklassen sowie Berufsinfotage oder Praktika seien vorstellbar.

"Die Firmen sind besser aufgestellt und daher auf die jetzige Lage vergleichsweise gut vorbereitet", sagt Strobel. Anders als 2016 aber, da sind sich die Expertinnen und Experten einig, wird die jetzige Situation begünstigt durch die EU-Massenzustrom-Richtlinie, die nach dem Jugoslawien-Krieg installiert und nun von der Europäischen Union reaktiviert wurde. Sie erspart den Geflüchteten langwierige und zermürbende Anträge um Aufenthaltstitel, sondern ermöglicht einen unkomplizierten Aufenthalt von bis zu drei Jahren und den sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt. "Der Wegfall der rechtlichen Hürden ist eine bedeutende Veränderung zu 2016", sagt Strobel. "Sie bietet den Menschen, aber auch den Unternehmen eine Perspektive, auch für längerfristige Bindungen."

Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder entscheidend

Voraussetzung dafür aber seien flächendeckende Sprachkurse und für die Kinder Zugang zu Kita und Schule, schreibt das IW in seiner Analyse und schließt einen Rat an die Politik gleich mit an: "Daher sollte auch darauf hingewirkt werden, dass sich die Geflüchteten direkt nach ihrer Einreise in Deutschland anmelden, auch wenn sie mit einer baldigen Rückkehr rechnen." Laut EU-Richtlinie dürfen sich die Geflüchteten 90 Tage frei bewegen, ohne sich registrieren zu müssen. Da viele Geflüchtete zudem privat unterkommen, ist derzeit völlig unklar klar, in welchen Regionen sie sich aufhalten. Einige Unternehmen sind daher mit konkreten Stellenoffensiven noch zurückhaltend. Man wolle die Entwicklung zunächst abwarten, schreibt eine Siemens-Sprecherin.


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