Entscheidungsstichwort (Thema)
Immissionsschutzrecht. Kinderspielplatz. Kinderlärm. Geräuscheinwirkungen durch Kinder. Schule. Grundschule. Ganztagsschule. Schulhof. Pausenhof. Schullärm. Schulhoflärm
Leitsatz (amtlich)
1. § 22 Abs. 1 a BImSchG privilegiert den von Kindertagesstätten, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen durch Kinder hervorgerufenen Lärm in zweifacher Hinsicht: Zunächst verbietet § 22 Abs. 1 a Satz 2 BImSchG, bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen der Kinder auf Immissionsgrenz- und -richtwerte technischer Regelwerke abzustellen.
Für die danach notwendige Einzelfallabwägung normiert § 22 Abs. 1 a Satz 1 BImSchG für den „Regelfall” ein absolutes Toleranzgebot.
2. Die umfangreiche und intensive Mitbenutzung eines Kinderspielplatzes durch Gruppen einer benachbarten Ganztagsschule am Nachmittag stellt einen Sonderfall der Spielplatznutzung dar.
3. Zur Zumutbarkeit der Geräuscheinwirkungen von Ganztagsschulkindern auf einem öffentlichen Kinderspielplatz für die benachbarten Anwohner (hier bejaht).
Normenkette
GG Art. 2, 2 Abs. 2, 2 S. 1, Art. 14, 14 Abs. 1, 1 S. 1; BGB §§ 1004, 906; BImSchG § 22; BImschG § 22 Abs. 1a; BImSchG § 22 Abs. 1a Sätze 1-2; LImSchG §§ 3, 3 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Neustadt a.d. Weinstraße (Urteil vom 24.08.2011; Aktenzeichen 3 K 749/09.NW) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 24. August 2011 hinsichtlich des Urteilsausspruchs zu 5.) abgeändert und die Klage insofern abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens erster Instanz haben die Klägerin 5/8 und die Beklagte 3/8 zu tragen; die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweiligen Vollstreckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die von einer Gemeinbedarfsfläche ausgehenden Lärmbeeinträchtigungen und verteidigt im Berufungsverfahren den Ausspruch des Verwaltungsgerichts, wonach die Beklagte die Mitbenutzung eines Kinderspielplatzes werktäglich von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr durch Ganztagsschulkinder einer benachbarten Grundschule einzuschränken habe.
Die Klägerin ist seit dem Jahr 2002 Miteigentümerin des Grundstücks K.straße … in M. Für den auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegenden Bereich weist der Bebauungsplan „Z. C. und Gemarkungsgrenze”, Änderung VI vom 26. Juli 1996 eine „Fläche für den Gemeinbedarf” aus. Auf dieser ca. 90 m × 90 m großen Fläche unterhält die Beklagte folgende öffentliche Einrichtungen:
- im Südosten den Helwertpark (lt. Bebauungsplan: „Öffentliche Grünfläche -Parkanlage mit Kinderspielplatz –, ca. 40 m × 50 m),
- im Südwesten das kulturellen Zwecken dienende Carl-Bosch-Haus („Bürgerhaus”),
- im Nordwesten die Haidwaldschule („Grundschule”, seit 2006 Ganztagsschule),
- im Nordosten die für Schul- und allgemeinen Vereinssport genutzte und 1998 errichtete Alois-Jung-Sporthalle.
Die Klägerin wandte sich seit 2008 gegen die von diesen Anlagen ausgehenden Lärmimmissionen. Nachdem die Beklagte keine Maßnahmen zur Lärmreduzierung ergriffen hatte, hat die Klägerin 2009 Klage erhoben und sich insbesondere gegen Lärmbeeinträchtigungen durch die Nutzung des Carl-Bosch-Hauses in der Zeit nach 22:00 Uhr sowie durch die außerschulische Nutzung der Sporthalle in der Zeit zwischen 16:00 Uhr und 22:00 Uhr gewandt. Hinsichtlich der Nutzung des Helwertparks hat sie zum einen dessen Mitbenutzung durch die Schüler der Haidwaldschule beklagt. So hielten sich während der vormittäglichen Pausen bis zu 300 Kinder in dem Park auf. Besonders störend sei darüber hinaus die nachmittägliche Nutzung des Parks durch die ca. 90 Ganztagsschüler in der Zeit von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr. Darüber hinaus werde sie durch die Nutzung des Helwertparks durch Jugendliche in der Zeit von 16:00 Uhr bis 22:00 Uhr, zum Teil auch darüber hinaus, stark beeinträchtigt.
Hinsichtlich der Nutzung des Helwertparks durch Jugendliche in den Abend- und Nachtstunden haben die Beteiligten in einem gerichtlichen Erörterungstermin im Juni 2010 eine Übereinkunft erzielt, woraufhin die Beklagte die Zugänge zum Park teils geschlossen und teils umgestaltet hat.
Nachdem weitere Vergleichsbemühungen des Gerichts ohne Erfolg geblieben sind, hat das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Urteil vom 24. August 2011 verurteilt,
- dafür Sorge zu tragen, dass durch die Nutzung des Carl-Bosch-Hauses zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr an dem Wohngebäude der Klägerin kein höherer Beurteilungspegel als 40 dB(A) auftritt;
- Dritte zu veranlassen, während des Sportbetriebs in der Alois-Jung-Sporthalle in der Zeit zwischen 16:00 Uhr und 22:00 Uhr Fenster und Außentüren geschlossen zu halten, mit Ausnahme der Dachöffnungen in der Zeit zwischen 16:00 Uhr und 20:00 Uhr;
- „den durch die Nutzung des Helwertparks in der Zeit ...