Leitsatz (amtlich)
Zur Befangenheit des Sachverständigen bei Überschreitung des Beweisthemas und Zugrundelegung streitigen Parteivortrags.
Normenkette
ZPO § 406
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Beschluss vom 24.07.2014; Aktenzeichen 16 O 148/13) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 2 wird der Beschluss des LG Saarbrücken vom 24.7.2014 - 16 O 148/13 - aufgehoben.
Das Ablehnungsgesuch des Beklagten zu 2 vom 24.6.2014 gegen den Sachverständigen Prof. Dr. S. ist begründet.
Gründe
I. Hintergrund des Beschwerdeverfahrens, mit dem der Beklagte zu 2 die Ablehnung des mit der Erstellung eines medizinischen Gutachtens beauftragten Prof. Dr. S. wegen der Besorgnis der Befangenheit weiter betreibt, ist eine Schadensersatzklage wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler im Zusammenhang mit einer Wirbelsäulenoperation. Jener Operation ging eine Untersuchung durch den Beklagten zu 2 voraus, bei der eine Spinalkanalstenose diagnostiziert wurde. Der Beklagte zu 2 operierte den Kläger am 20.4.2012. Im Rahmen des Eingriffs wurden zwei Wirbel versteift. Beim Kläger verblieben postoperative Beschwerden.
Der Kläger stützt seine Schadensersatzklage auf vier Aspekte: die operative Dekompression als solche sei schon nicht indiziert gewesen, die intraoperative Wirbelversteifung sogar kontraindiziert (Bl. 283 d.A.), die Versteifung sei im Vorfeld zu keinem Zeitpunkt abgesprochen worden und deshalb von seiner Einwilligung nicht gedeckt (Bl. 26, 28, 283 d.A.), schließlich habe der Beklagte zu 2 den Eingriff nicht kunstgerecht durchgeführt (Bl. 28 d.A.). Der Beklagte zu 2 ist all dem entgegengetreten. Zu der vom Kläger als lückenhaft dargestellten Aufklärung hat er vorgetragen, zunächst habe er selbst anhand eines in seinem Arztzimmer stehenden Skeletts erläutert, dass im Fall einer sich während des Eingriffs zeigenden Instabilität die Wirbel mit Schrauben versteift werden müssten (Bl. 79 d.A.). Der Hinweis sei in einem weiteren Aufklärungsgespräch mit dem Zeugen Dr. B. am 19.4.2012 wiederholt worden. Der Kläger habe mitgeteilt, wenn möglich, solle eine einfache Dekompression durchgeführt werden, notfalls aber auch eine Stabilisierung (Bl. 80 d.A.). Der Kläger hat diese Schilderung als haltlos zurückgewiesen (Bl 269 d.A.).
In den vom LG am 16.10.2013 (Bl 232 d.A.) und am 25.11.2013 (Bl. 289 d.A.) erlassenen Beweisbeschlüssen sind als Beweisfragen aufgeführt: die - relative - Indikation für die operative Dekompression und die Kontraindikation für die Wirbelsäulenversteifung, die kunstgerechte Durchführung des Eingriffs, (gegebenenfalls) die Schwere und die Folgen eines festgestellten Behandlungsfehlers sowie die postoperativen Beschwerden.
Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat sein schriftliches Gutachten unter dem 13.4.2014 erstellt (Bl 374 d.A.). Er hat zunächst die Beweisfragen aufgelistet und sodann u.a. ausgeführt (die für die Frage der Besorgnis der Befangenheit relevanten Passagen sind durch Fettdruck hervorgehoben):
"4. Ärztliche Stellungnahme
[...]
Aufklärung des Patienten:
Herr N. wurde am 19.4.2012 über die geplante Operation aufgeklärt. Hierzu wurde ein Aufklärungsvordruck "proCompliance" [...] benutzt (S. 98-102). Ergänzend erfolgte ein ärztliches Aufklärungsgespräch (Unterschrift nicht lesbar). In dem ausführlichen Aufklärungsvordruck [...] heißt es auf der 3. Seite (S. 100): 'bei ausgedehnten Operationen [...] kann eine Lockerung der Wirbelverbindungen mit Instabilität entstehen. Gegebenenfalls ist dann später eine Versteifungsoperation angezeigt.' In dem ergänzenden ärztlichen Gespräch wird auf diese Problematik - zumindest wie es dokumentiert wurde - nicht eingegangen.
[...]
5. Beantwortung der Beweisfragen (laut Beweisbeschluss):
[...]
Frage 3: Bestand eine relative Operationsindikation?
[...]
[Es] hätte selbst bei Entfernung der Gelenksfläche keine dringende Notwendigkeit bestanden, sofort in der gleichen Operation eine Versteifung mit einem Fixateur interne vorzunehmen. [Man hätte] durchaus den Patienten zunächst nur in dem kleineren Umfang operieren können, wie es in dem Aufklärungsbogen geschildert wird (S. 100, 4. Absatz). Wenn dann tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt passende Symptome aufgetreten wären, hätte man dann immer noch nach Rücksprache mit dem Patienten eine Versteifung der Wirbelsäule vornehmen können. Grundsätzlich gilt die Einwilligung des Patienten nur für solche Eingriffe, die auch Gegenstand des Aufklärungsgespräches waren. Über eventuell in Betracht kommende Erweiterungen muss der Patient ebenfalls aufgeklärt werden. Eine Operationserweiterung ohne erneute Aufklärung ist nur dann zulässig, wenn ansonsten das Leben des Patienten akut bedroht wäre. Diese Situation lag bei Herrn N. nicht vor.
Frage 4: Wenn der Sachverständige einen Behandlungsfehler feststellt, soll qualitativ gewichtet und erläutert werden, ob es sich um einen einfachen oder aber um einen schweren Behandlungsfehler handelt.
Die Indikation zur Operation ist sehr frühzeitig gestellt worden und diagnostisch unzureichend vorbereitet. ...