Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Schmerzensgeld beim Hinunterrutschen eines Treppengeländers
Leitsatz (amtlich)
a) Der für eine Treppe Verkehrssicherungspflichtige haftet nicht für Schäden, die daraus entstehen, dass das Treppengeländer zum Hinunterrutschen missbraucht wird. Hierbei handelt es sich um eine fern liegende, bestimmungswidrige Benutzung.
b) Die Verkehrssicherungspflicht zum Schutz von Kindern beschränkt sich in der Regel auf solche Gefahren, die ihnen verborgen bleiben oder denen sie aus anderen Gründen nicht ausweichen können. Deutlich erkennbare Gefahren, die vor sich selbst warnen, scheiden für eine Verkehrssicherung aus, wenn bei verständiger Beurteilung anzunehmen ist, dass der zu Schützende ihnen ausweichen kann.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 30.01.2006; Aktenzeichen 11 O 98/05) |
Tatbestand
I. Die Parteien streiten wegen eines Unfallereignisses, das sich am 22.2.2004 im Anwesen der Beklagten B.Straße 86 in 66333 Völklingen ereignet hat.
Die am 11.10.1992 geborene Klägerin wohnte zum Unfallzeitpunkt zusammen mit ihrer Mutter in dem der Beklagten gehörenden Mehrfamilienhaus, B.-Straße 86 in 66333 Völklingen, im zweiten Stock. Das insgesamt achtgeschossige Treppenhaus ist vom obersten Stockwerk bis zum Keller offen. Die Treppe des Ende der 50er Jahre errichteten Gebäudes ist durch ein 88,5 cm hohes Geländer mit Handlauf gesichert. Vorrichtungen, die ein Rutschen auf dem Handlauf des Geländers verhindern (Knöpfe oder Bügel), sind ebenso wenig vorhanden wie Schutzeinrichtungen im Treppenhausauge. Am 22.2.2004 wurde die Klägerin im Treppenhaus des Kellergeschosses liegend mit schweren Schädelverletzungen (Felsenbeinquerfraktur, Kalottenfraktur beidseits, Subarachnoidalblutung) aufgefunden.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe sich mit dem Bauch quer auf das Treppengeländer gelegt, um das Geländer herunter zu rutschen. Dabei habe sie das Gleichgewicht verloren und sei kopfüber 9 m tief in das Treppenhausauge gestürzt. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, das Geländer durch geeignete Vorrichtungen gegen das Rutschen auf dem Handlauf und die damit verbundene Gefahr des Abstürzens zu sichern. Außerdem hätte die Beklagte das Treppenhausauge durch gespannte Netze sichern müssen. Angesichts der Schwere der Verletzungen sei ein Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 20.000 EUR angemessen.
Die Klägerin hat beantragt,
a) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 22.2.2004, ca 15.00 Uhr, in dem Haus B.-Straße 86, 66333 Völklingen zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,
b) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten.
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass das Treppenhaus den bauordnungsrechtlichen Vorschriften entspreche. Im Übrigen sei das Rutschen auf dem Handlauf eines Treppengeländers eine bestimmungswidrige Nutzung und es sei Aufgabe der Erziehungsberechtigten, derartige gefährliche Handlungen zu unterbinden. Die Beklagte sei weder zur Anbringung von Netzen noch zur Anbringung besonderer Vorrichtungen auf dem Handlauf verpflichtet gewesen.
Die Klage blieb in beiden Rechtszügen ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Der Klägerin stehen die gegen die Beklagte geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Insbesondere hat die Klägerin gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Schmerzensgeld noch auf Ersatz der materiellen Schäden aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.
Entgegen der Ansicht der Klägerin fehlt es im vorliegenden Fall bereits an der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte, wozu auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen wird.
Verkehrssicherungspflichten garantieren keine Gefahrlosigkeit (Wellner, in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, Kapitel 14 Rz. 11), sondern bezwecken in erster Linie, den Verkehr vor verdeckten und atypischen möglichen Schadensursachen zu schützen (Wellner in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, Kapitel 14 Rz. 10). Die Sicherungspflichten werden davon geprägt, eine Enttäuschung schutzwürdiger Erwartungen zu vermeiden. Sie sind deshalb umso stärker, je weniger Gefahren erkennbar sind oder je höher die Erwartung in eine Gefahrlosigkeit gerechtfertigt ist. Hieraus folgt, dass andererseits auch der Verkehrspflichtige darauf vertrauen darf, dass sich Dritte in verständiger Weise auf erkennbare Gefahren einstellen (Wellner in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, Kapitel 14 Rz. 12). Wenn eine Treppe mit einem Geländer und einem Handlauf ve...