Leitsatz (amtlich)
1. Die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens (Glaubhaftigkeitsgutachtens) ist auch im Zivilprozess grundsätzlich statthaft.
2. Die Frage, ob ein solches Gutachten eingeholt werden muss oder ob ein entsprechender Beweisantrag zurückgewiesen werden darf, ist nach denselben Prämissen zu beurteilen wie im Strafprozess.
3. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann daher geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 13.12.2007; Aktenzeichen 2 O 77/05) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.12.2007 verkündete Urteil des LG Saarbrücken - 2 O 77/05 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin nimmt den Beklagten, bei dem es sich um ihren ehemaligen Pflegevater handelt, wegen behaupteten sexuellen Missbrauchs an ihr zwischen Herbst 2001 im Herbst 2002 auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden in Anspruch.
Die am XX. 3.1989 geborene Klägerin war seit ihrem fünften Lebensjahr in einer Wohngruppe im H. J. Haus in B. untergebracht gewesen. Hintergrund dieser Unterbringung war der Umstand, dass die Mutter der Klägerin sich wegen einer schweren fortschreitenden Krankheit (Lateralsklerose) nicht mehr um sie kümmern und auch ihr Vater, der Zeuge H. J. S., wegen seiner Berufstätigkeit nicht mehr ausreichend Zeit für sie erübrigen konnte. Im Jahr 1997 wurde bei der Klägerin gutachterlich eine Lernbehinderung und eine Entwicklungsverzögerung attestiert, infolge derer sie auf die Sonderschule L in D. wechselte. Bei der Klägerin setzte früh die Pubertät ein, im Alter von 9-10 Jahren hatte sie ihre erste Menstruation. Etwa ab dem Alter von 10 ½ Jahren nahm die Klägerin sexuelle Kontakte zu einem damals fast fünfzehnjährigen Jungen aus ihrer Wohngruppe auf, wobei es auch zum freiwilligen Geschlechtsverkehr mit diesen Jungen mit dem Namen D. kam. Bei der Klägerin traten bereits früh erhebliche Verhaltensauffälligkeiten auf; sie log und zeigte aggressive und autoaggressive Verhaltensweisen, wenn ihr etwas nicht passte.
Am 21.7.2001 wurde die Klägerin mit Einwilligung ihres Vaters in den Haushalt des Beklagten und seiner Ehefrau, der Zeugin K., als Pflegekind aufgenommen. Etwa ab November 2001 kam es zu ersten Konflikten in der Pflegefamilie. Wegen der näheren Einzelheiten und des Weiteren Verlaufs des Aufenthalts der Klägerin in der Familie des Beklagten wird auf die Darstellung im Urteil des LG Saarbrücken vom 24.5.2004 - 5 25/03 IV (21 Js 461/03) auf Seiten 7 - 10, Bl. 375 - 377 der BA 21 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken, Bezug genommen.
Im Frühsommer 2002 wurde die Klägerin an ihrer Schule Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch den Mitschüler M. W.. Dieser hat die Tat, bei der er die damals dreizehnjährige Klägerin hinter ein Klavier führte und ihr mit der Hand zunächst in die Hose an die Scheide fasste und sodann vor ihr bis zur Ejakulation onanierte, eingeräumt und wurde durch rechtskräftiges Urteil des AG Homburg vom 5.1.2004 - 14 Ds 33/03 (22 Js 477/03) rechtskräftig verurteilt.
Im Dezember 2002 griff die Klägerin dem Beklagten von hinten über der Hose an das Geschlechtsteil. Der Beklagte und seine Ehefrau beendeten daraufhin das Pflegeverhältnis zu der Klägerin. Die Klägerin befand sich ab diesem Zeitpunkt in der Obhut ihres leiblichen Vaters.
Im Januar 2003 wurde gegen den Beklagten unter dem Aktenzeichen 21 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Klägerin eingeleitet. Ausgangspunkt für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens war eine entsprechende Anzeige des Vaters der Klägerin vom 22.1.2003, der vorausgegangen war, dass die Klägerin zunächst ihrer Patentante, der Zeugin Frau K. gegenüber, und später, am 7.1.2003, auch der Zeugin Frau R. vom Jugendamt gegenüber entsprechende Missbrauchsvorwürfe geäußert hatte.
Die Klägerin wurde im Folgenden mehrfach von unterschiedlichen Personen wegen der streitgegenständlichen Vorwürfe befragt beziehungsweise vernommen, u.a. am 21.1.2003 von der Psychologin S. M., am 22.1.2003 von der Polizeibeamtin A., am 30.1.2003 von der Polizeibeamtin G. und am 24.6.2003 von der Sachverständigen Dr. R.-J..
Mit dem oben bereits angeführten Urteil des LG Saarbrücken vom 24.5.2004 - 5 25/03 IV (21 Js 461/03) wurde der Beklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in einem Fall sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, in allen ...