Leitsatz (amtlich)

1. Im Verkehrsunfallprozess sind die Aufzeichnungen einer Webcam, die ein unbeteiligter Dritter zur Verfügung stellt, als Beweismittel zur Aufklärung des Unfallhergangs nicht grundsätzlich unverwertbar; dies gilt insbesondere dann, wenn ein Unfallbeteiligter zwar der Verwertung widerspricht, sich dabei aber nicht auf höher zu gewichtende Persönlichkeitsrechte beruft.

2. Fahren zwei Kraftfahrzeuge annährend gleichzeitig in einen engen Kreisverkehr ein, ohne dass die Reihenfolge aufgeklärt werden kann, kann im Einzelfall eine Haftungsteilung von 2/3 zulasten des - vom Unfallgegner aus Unaufmerksamkeit nicht wahrgenommenen - aus der weiter links gelegenen Einmündung kommenden Fahrers gerechtfertigt sein, wenn dieser versucht, in einer Geradeausfahrt mit einer der Verkehrssituation nicht angemessenen Geschwindigkeit unter "Schneiden" der Mittelinsel an dem sich erkennbar aus der nächsten Einmündung annährenden Fahrzeug vorbeizufahren.

 

Normenkette

StVO § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1; StVO Anl. 2 Spalte 2 Nr. 2 zu Zeichen 215; ZPO §§ 286, 371

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 08.07.2021; Aktenzeichen 9 O 60/20)

 

Tenor

I. Auf die Erstberufung der Beklagten wird das am 08.07.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (9 O 60/20) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, einen Betrag von 11.223,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.05.2020 zu zahlen, hiervon einen Betrag von 837,37 EUR an die Klägerin und einen Betrag von 10.386,34 EUR an die M.-D. GmbH.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin von ihrer Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gegenüber ihren Prozessbevollmächtigten in Höhe von 958,19 EUR freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Erstberufung der Beklagten sowie die Zweitberufung der Klägerin werden zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 74 %, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 26 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 73 %, den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 27 % auferlegt.

IV. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 16.04.2020 gegen 10.42 Uhr in dem Verkehrskreisel Bahnhofstraße/Zum Sparrenberg in 66629 Freisen ereignete. An diesem waren beteiligt der Geschäftsführer der Klägerin, Herrn M.F., mit dem im Eigentum der A. F. GmbH als Leasinggeberin stehenden Pkw BMW M4 Cabrio, amtliches Kennzeichen xxx, sowie die Beklagte zu 1 als Fahrerin und Halterin des Pkw Ford Ka, amtliches Kennzeichen xxx, der im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert war.

Der Geschäftsführer der Klägerin näherte sich dem Kreisverkehr auf der Bahnhof-straße, aus Richtung Ortsmitte kommend, in Fahrtrichtung Freisen-Asweiler. Die Beklagte zu 1 befuhr die Straße Zum Sparrenberg und fuhr ebenfalls in den Verkehrs-kreisel ein, aus der Sicht des klägerischen Fahrzeugs von rechts kommend.

Die Reihenfolge des Einfahrens der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge in den Kreisel ist streitig. Im Kreisel kam es zur Kollision. Der Unfall wurde zufällig aufgezeichnet durch eine Webcam der Firma C. V.B, die in der ... unmittelbar am Kreisel ansässig ist.

Die Klägerin holte ein Haftpflichtgutachten des Sachverständigenbüros S. vom 17.04.2020 ein (Anlage K2, Blatt 11), nach dem sich die Netto-Reparaturkosten für das klägerische Fahrzeug auf 24.937,46 EUR beliefen. Der Sachverständige stellte zudem eine merkantile Wertminderung von 4.500 EUR fest und bezifferte den Nutzungsausfall mit 175 EUR pro Ausfalltag.

Mit Anwaltsschreiben vom 17.04.2020 (Anlage K1, Blatt 8) bezifferte die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2 ihren Schaden auf 31.949,54 EUR (Netto-Reparaturkosten 24.937,46 EUR, Gutachterkosten 2.487,08 EUR, Wertminderung 4.500 EUR und Kostenpauschale 25 EUR) und forderte die Beklagte zu 2 zur Zahlung auf. Nach zwischenzeitlicher Reparatur forderte die Klägerin die Beklagte zu 2 mit anwaltlichem Schreiben vom 14.05.2020 (Anlage K3, Blatt 79) auf, einen Gesamtbetrag von 42.896,08 EUR nebst Anwaltskosten bis zum 25.05.2020 zu zahlen (Brutto-Reparaturkosten laut Rechnung 31.159 EUR, Gutachterkosten 2.487,08 EUR, Wertminderung 4.500 EUR, Nutzungsausfallentschädigung für 27 Tage à 175 EUR von insgesamt 4.725 EUR und eine Kostenpauschale von 25 EUR). Die Beklagte zu 2 trat nicht in eine Regulierung ein.

Die Klägerin hat zum Unfallhergang behauptet, ihr Geschäftsführer ha...

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