Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutwilligkeit im Sinne des Verfahrenskostenhilferechts
Leitsatz (amtlich)
1. Mutwilligkeit im Sinne der Verfahrenskostenhilfevorschriften liegt bei der unterlassenen Einschaltung des Jugendamtes in Kindschaftssachen vor der Anrufung des Familiengerichts nur vor, wenn aufgrund der objektiven Umstände eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Vermittlung des Jugendamtes innerhalb einer angemessenen Zeit zum Erfolg geführt hätte.
2. Die vorherige Inanspruchnahme der Vermittlung durch das Jugendamt ist im Regelfall dem bedürftigen Beteiligten nur zumutbar, wenn das Jugendamt binnen einer Frist von einem Monat einen Vermittlungstermin anbieten kann.
Normenkette
FamFG §§ 76, 155-156; ZPO § 114
Verfahrensgang
AG Reinbek (Beschluss vom 07.03.2011; Aktenzeichen 10 F 54/11) |
Tenor
Der Beschluss des AG - Familiengericht - Reinbek vom 7.3.2011 wird abgeändert. Der Antragstellerin und Kindesmutter wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt E. bewilligt.
Gründe
I. Die Kindeseltern sind getrennt lebende Eheleute. Aus ihrer Ehe gingen die Kinder A., geboren am 13.7.2008, und M., geboren am 17.8.2010, hervor. Für die jüngere Tochter ist noch kein Kinderausweis beantragt und ausgestellt worden.
Die Kindesmutter beabsichtigte für das Kind M. einen Kinderausweis ausstellen zu lassen, da sie ihre Familie in Holland besuchen wolle. Außergerichtlich hat der Kindesvater seine Zustimmung zur Ausstellung eines Kinderausweises verweigert, da er befürchtet, dass die Kindesmutter das Kind ohne seine Zustimmung in die Türkei verbringt.
Daraufhin beantragte die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 11.11.2010 beim AG - Familiengericht - Reinbek (Az. 10 F 203/10) den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, dass ihr die alleinige Entscheidungsbefugnis zur Beantragung eines Kinderausweises übertragen wird. Der Kindesvater verweigerte auch in dem Verfahren seine Zustimmung.
Durch Beschluss vom 7.12.2010 wies das AG - Familiengericht - Reinbek den Antrag der Kindesmutter im einstweiligen Anordnungsverfahren zurück, da es an der Eilbedürftigkeit fehle.
Mit Schriftsatz vom 17.2.2011 beantragte die Kindesmutter im Wege des Hauptsacheverfahrens beim AG - Familiengericht - Reinbek (Az. 10 F 54/11) die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Beantragung eines Kinderausweises. Durch Beschluss vom 7.3.2011 versagte das AG - Familiengericht - Reinbek der Kindesmutter die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, da sie vor Einleitung des Verfahrens nicht das Jugendamt eingeschaltet habe und somit im Sinne der Verfahrenskostenhilfevorschriften mutwillig gehandelt habe.
Im Anhörungstermin vom 17.3.2011 schlossen die Kindeseltern eine Vereinbarung dahingehend, dass der Kindesvater der Beantragung eines Kinderausweises zustimmt.
Die Kindesmutter legte im Anhörungstermin vom 17.3.2011 gegen den ablehnenden Verfahrenskostenhilfebeschluss Beschwerde ein. Das Familiengericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Schleswig zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2 ZPO statthafte und im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin und Kindesmutter hat in der Sache Erfolg.
Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 ZPO kann einem Beteiligten nur dann Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Darüber hinaus darf die Rechtsverfolgung nicht mutwillig sein. Eine Rechtsverfolgung ist dann mutwillig, wenn ein verständiger, nicht hilfsbedürftiger Beteiligter seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl. 2011, § 114 Rz. 30).
In diesem Zusammenhang ist umstritten ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine Verpflichtung eines Beteiligten in Sorge- bzw. Umgangsrechtsverfahren besteht, vor der Anrufung des Familiengerichts das Jugendamt zum Zwecke der Vermittlung einzuschalten.
Teilweise wird vertreten, dass vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens stets versucht werden müsse, die Sache durch Inanspruchnahme der kompetenten Hilfe des Jugendamtes außergerichtlich zu klären. Aus der Regelung des § 156 FamFG ergebe sich, dass es das Ziel des Gesetzes sei, vorrangig einvernehmliche Regelungen und gütliche Einigungen zu erzielen. Dies könne durch Vermittlung des Jugendamtes bereits vorgerichtlich auf einer deutlich niedrigen Eskalationsstufe erfolgen (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 8.3.2011 - 10 WF 23/11, Quelle: juris; OLG Stuttgart, FamRZ 2009, 354; MünchKomm/Viefhus, FamFG, § 76 FamFG Rz. 33). Dies gelte nur dann nicht, wenn die Einschaltung des Jugendamtes aussichtslos sei (vgl. OLG Saarbrücken, FamRZ 2010, 310).
Eine andere Auffassung ist der Ansicht, dass die sofortige Inanspruchnahme des Gerichtes ohne vorherige Einschaltung des Jugendamtes nicht mutwillig im Sinne der Verfahrenskostenhilfevorschriften sei. Denn den Eltern müsse erlaubt sein, die Erf...