Leitsatz (amtlich)

1. Ein Radfahrer behält auch dann sein Vorfahrtsrecht gegenüber einbiegenden Fahrzeugen, wenn er verbotswidrig den linken von zwei vorhandenen Radwegen benutzt, der nicht für beide Fahrtrichtungen freigegeben ist. Der Verstoß gegen § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO rechtfertigt aber ein anspruchsminderndes Mitverschulden von einem Drittel.

2. Ein Zurechnungszusammenhang bei psychischen Folgeschäden ist dann zu verneinen, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (sog. Bagatelle).

3. Für die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens wegen behaupteter posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und unfallbedingter Anpassungsstörungen sind entsprechender Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen darzulegen. Daran fehlt es bei relativ leichten physischen Unfallfolgen und aufgrund des Umstandes, dass eine entsprechende Behandlung der behaupteten psychischen Störungen erstmals mehr als sieben Jahre nach dem Unfall stattgefunden hat.

 

Normenkette

StVG § 7 Abs. 1, §§ 9, 11; StVO § 2 Abs. 4 S. 2, § 8 Abs. 1

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers vom 18.11.2019 gegen das Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 15.10.2019 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kiel ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 49.140,38 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger beansprucht Schadenersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall, den er am 20.02.2013 gegen 15.20 Uhr als Radfahrer auf dem Radweg am X-Ring in Kiel (Fahrtrichtung D., Höhe H.-Straße) erlitten hat. Der Radweg war für die Fahrtrichtung des Klägers nicht zugelassen. Die Beklagte zu 1) kam mit ihrem bei der Beklagten zu 2) versicherten Pkw, amtliches Kennzeichen ..., aus Sicht des Klägers von links aus der H.-Straße, um nach rechts in den bevorrechtigten X-Ring abzubiegen. Dabei kam es zur Kollision zwischen Pkw und Fahrrad. Der Kläger erlitt eine Hüftprellung, eine Schulterprellung sowie eine Halswirbelsäulenzerrung und musste anschließend im Städtischen Krankenhaus K. behandelt werden.

Der Kläger hat behauptet, er habe ferner eine unfallbedingte, posttraumatische Belastungsstörung erlitten, in deren Folge er bis zum 01.02.2014 arbeitsunfähig gewesen sei. Den Verdienstausfall beziffert er mit 18.515,00 EUR. Darüber hinaus beansprucht er Schmerzensgeld unter Anrechnung der bereits vorgerichtlich gezahlten 1.500,00 EUR von noch 30.000,00 EUR sowie Ersatz von Zusatzkosten für Physiotherapie in Höhe von 125,38 EUR.

Das Landgericht hat - nach Beweisaufnahme - dem Kläger nur einen geringen Teil der geltend gemachten Forderungen zuerkannt und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld von 500,00 EUR nebst Zinsen sowie 201,71 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger sich dem Grunde nach eine Mithaftung in Höhe von einem Drittel anrechnen lassen müsse. Er habe den Fahrradweg in der nicht für ihn zugelassenen Fahrtrichtung benutzt. Die behaupteten psychischen Beeinträchtigungen (posttraumatische Belastungsstörung bzw. Depression) seien nicht bewiesen. Es seien keine hinreichenden Anschlusstatsachen vorgetragen, die es erlauben würden, eine psychiatrische Begutachtung in Auftrag zu geben. Allein die unfallchirurgisch-orthopädisch festgestellten Beeinträchtigungen rechtfertigten ein Schmerzensgeld von lediglich 3.000,00 EUR, das wegen der Quote auf 2.000,00 EUR zu kürzen sei. Abzüglich der bereits vorgerichtlich gezahlten 1.500,00 EUR errechne sich der ausgeurteilte Betrag.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er hält eine Mithaftung von allenfalls 10 % für gerechtfertigt. Das Landgericht habe zu Unrecht die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens abgelehnt. Eine Anpassungsstörung könne als Folgeerkrankung auch aufgrund weniger gravierender Ereignisse ausgelöst worden sein, weil der sich aus den Unfallverletzungen ergebende Leidensdruck auch erst geraume Zeit später eintreten könne. Der Kläger sei vor dem Unfall in das Arbeitsleben voll integriert und psychische Schäden seien vorher nicht vorhanden gewesen. Im Übrigen wäre ohne den Verkehrsunfall eine entsprechende Bandscheibenproblematik nicht eingetreten.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld, dessen endgültiger Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 30.000,00 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank zu zahlen;

2. die Beklagten zu ve...

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