Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung: Zuständigkeit zur Entscheidung über Ablehnungsgesuch gegen Einzelrichter
Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach Inkrafttreten des ZPO-Reformgesetzes entscheidet gem. § 45 I ZPO über gegen Einzelrichter gerichtete Befangenheitsgesuche bei Kollegialgerichten der vollbesetzte Spruchkörper (Kammer/Senat), welcher der Einzelrichter als Mitglied angehört.
2. Die §§ 348, 348a, 526 ZPO sind im Befangenheitsverfahren nicht anwendbar. Die Entscheidung durch den Vertreter des Einzelrichters ist daher in jedem Falle verfahrensfehlerhaft.
Verfahrensgang
LG Lübeck (Beschluss vom 01.07.2004; Aktenzeichen 5 O 16/04) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Beklagten wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist gem. § 46 Abs. 2 ZPO statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 ZPO.
1. Die angefochtene Entscheidung ist verfahrensfehlerfrei ergangen. Zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des Beklagten v. 18.5.2004 gegen den Richter am LG X. als Einzelrichter hat zu Recht die vollbesetzte 5. Zivilkammer des LG Lübeck entschieden.
Der Senat folgt in ständiger Rechtsprechung der herrschenden Meinung, dass zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gegen einen zur Alleinentscheidung berufenen Einzelrichter des LG gem. § 45 Abs. 1 ZPO die vollbesetzte Kammer zuständig ist, der der Einzelrichter als Mitglied angehört.
Die vom Beklagten in der sofortigen Beschwerde hiergegen vorgebrachten Rechtsauffassungen sind nicht geeignet, den Senat zu einer Änderung seiner ständigen Rechtsprechung zu veranlassen.
Nach § 75 GVG, der durch das Zivilprozessreformgesetz nicht geändert worden ist, sind bei den LG die Zivilkammern, soweit nicht nach den Vorschriften der Prozessgesetze anstelle der Kammer der Einzelrichter zu entscheiden hat, mit drei Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden besetzt. Aus dieser Vorschrift folgt, dass jeder bei einem LG in Zivilsachen tätige Richter einer Zivilkammer angehört. Der einschränkende Soweit-Satz bezieht sich lediglich auf die schon seit der Vereinfachungsnovelle aus dem Jahre 1976 geltenden Regelungen, wonach aufgrund der entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung zu entscheiden ist, ob die Kammer in voller Besetzung oder durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter entscheidet. In jedem Falle aber entscheidet die Zivilkammer, nicht etwa das LG als solches durch einen Einzelrichter.
Die §§ 348, 348a ZPO n.F. haben zu keiner grundsätzlichen Änderung des Verhältnisses zwischen der Zivilkammer als solcher und den im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Einzelrichtern geführt. Es ist lediglich der Zuständigkeitsbereich für Einzelrichtersache erheblich ausgeweitet worden. Diese Vorschriften besagen für das Verfahren bei Ablehnungsgesuchen entgegen der Ansicht der sofortigen Beschwerde nichts, da die Frage, wer für die Entscheidung über Ablehnungsgesuche zuständig ist, ausschließlich in § 45 ZPO geregelt ist. Deshalb liegen alle Ausführungen über die Befugnisse des Einzelrichters nach § 348, 348a ZPO neben der Sache. Jetzt wie früher ist der Einzelrichter "die Kammer" auch für alle Nebenverfahren, für die Abweichendes nicht geregelt ist. Das Befangenheitsverfahren ist aber in § 45 ZPO gesondert geregelt. Folglich sind die dortigen Zuständigkeitsvorschriften aus sich heraus auszulegen. Die Besonderheit des Nebenverfahrens "Befangenheitssache" ist dadurch gekennzeichnet, dass der Einzelrichter selbst, der abgelehnt worden ist, unbestrittenermaßen nicht selbst entscheiden kann, es sei denn, es läge ein wegen Rechtsmissbrauchs im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO analog unzulässiges Ablehnungsgesuch vor.
Wenn bei dieser Sachlage § 45 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch das Gericht für zuständig erklärt, dem der Abgelehnte angehört, gebietet schon die naheliegende Wortauslegung, hierunter bei Kollegialgerichten die Kammern oder die Senate zu verstehen, denen der Einzelrichter angehört. Es gibt nämlich bei Land- und OLG keine freischwebenden Einzelrichter, sondern jeder Richter gehört einer Kammer oder einem Senat an. Es entscheidet auch niemals "das LG" oder "das OLG", sondern jeweils ein Spruchkörper entweder durch drei Richter oder durch den kraft Gesetztes oder Übertragung zuständigen Einzelrichter. Auch der Einzelrichter bleibt bei funktionaler Alleinzuständigkeit Mitglied seines Spruchkörpers. Hingegen ist der nach dem jeweiligen Geschäftsverteilungsplan des Kollegiums zuständige Vertreter des Einzelrichters in dessen Einzelrichtersachen schon dem Wortsinn nach nicht "das Gericht, dem der Abgelehnte angehört", sondern er tritt im Verhinderungsfalle an die Stelle des Einzelrichters.
Schon all das spricht gegen die Auslegungsbemühungen, die die Beschwerde für zutreffend hält.
Entscheidend ist, dass bis zur ZPO-Reform auch nach dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitsvorschriften des § 45 kein Zweifel an der Zuständigkeit der vollbesetzten Kammer auch für Befangenheitsgesuche gegen ein Mitglied...