Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des zuständigen Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Ein Verweisungsbeschluß, der bei der Beurteilung der Zuständigkeit eine in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegend vertretene Auffassung ignoriert, ist willkürlich und deswegen nicht bindend.
Orientierungssatz
Willkürlichkeit eines Verweisungsbeschlusses wegen Abweichens von einhelliger Rechtsprechung
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281 Abs. 2 S. 5; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1
Beteiligte
Rechtsanwälte Dr. Beckmann und Partner |
Verfahrensgang
LG Flensburg (Urteil vom 12.05.2000; Aktenzeichen 2 O 191 00) |
LG Lübeck (Aktenzeichen 17 O 111 00) |
Tenor
Das Landgericht Lübeck bleibt weiterhin örtlich zuständig.
Gründe
Die Vorlage des Landgerichts Flensburg an den Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts ist zulässig (Zöller/Vollkommer ZPO 21. Aufl. § 37 Rn. 2). Nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wird das zuständige Gericht durch das im Rechtszuge zunächst höhere Gericht bestimmt, wenn – wie hier – verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Die Vorlage führt dazu, daß das Landgericht Lübeck zum örtlich zuständigen Gericht zu bestimmen ist.
Im Bestimmungsverfahren sind nicht nur die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften, sondern auch verfahrensrechtliche Bindungswirkungen (§ 281 Abs. 2 S. 5 ZPO) zu beachten; die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses wirkt daher im Bestimmungsverfahren fort (Zöller/Vollkommer aaO Rn. 28). Grundsätzlich ist eine Verweisung für das verweisende Gericht unwiderruflich und für das aufnehmende Gericht bindend (Zöller/Greger aaO § 281 Rn. 16). Dies entzieht auch einem sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluß und das diesem Beschluß zugrundeliegende Verfahren grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGHR ZPO § 281 Abs. 2 – Begründungszwang 1.). Die gesetzlich angeordnete Verbindlichkeit eines Verweisungsbeschlusses wird deshalb in der Regel auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß er auf einem Rechtsirrtum des Gerichts beruht oder sonst fehlerhaft ist (BGH NJW 1993, 2810). Vorliegend ist aber einer der Ausnahmefälle gegeben, in denen ein Verweisungsbeschluß aus rechtsstaatlichen Gründen (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 101 Abs. 1 GG) nach ständiger Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 1990, 708) ausnahmsweise nicht als verbindlich hingenommen werden kann. Die Verweisung ist willkürlich. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses gilt nämlich nicht, wenn die Verweisung jeder Rechtsgrundlage entbehrt und daher willkürlich ist (BayObLG, NJW-RR 1994, 891, 892). So ist es, wenn etwa ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, weil es offenbar eine bereits vor längerer Zeit vorgenommene Gesetzesänderung nicht zur Kenntnis genommen hat (BGH NJW 1993, 1273). Für den Fall, daß – wie hier – ein Gericht von einer seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Meinung abweicht, kann anderes nicht gelten. Der BGH hat bereits in einem Beschluß vom 5.12.1985 klargestellt, daß für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Bauwerkvertrag regelmäßig der Ort des Bauwerkes ist (NJW 1986, 935). Die obergerichtliche Rechtsprechung – der Senat hat diese Auffassung in seinem Urteil vom 4.6.1992 Az.: 2 U 78/91 in NJW-RR 1993, 314 als fast einhellig bezeichnet (sh. auch OLG Celle NJW 1990, 777 f; OLG Frankfurt MDR 1993, 683 f) – und die Literatur stimmen dem ganz überwiegend zu (sh. nur Werner/Pastor, Der Bauprozeß 9. Aufl. Rnrn. 418 ff mwN; Zöller/Vollkommer aaO § 29 Rn. 25 „Bauwerkvertrag”; Thomas/Putzo ZPO 22. Aufl. § 29 Rn. 6). Die vom Landgericht Lübeck zitierte Gegenansicht des LG Karlsruhe – geäußert in einem Beschluß (MDR 1990, 1010) aus dem Jahre 1990 – hat sich ersichtlich nicht durchgesetzt. Der in Rede stehende Bauvertrag hat unzweifelhaft Sanierungsarbeiten an einem Bauwerk zum Gegenstand. Ob es sich um größere oder kleine Bauleistungen handelt, ist unerheblich (Werner/Pastor aaO). Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Lübeck ist daher unter solchen Umständen ausnahmsweise nicht bindend, so daß es örtlich zuständig geblieben ist.
Unterschriften
Lindemann, Schupp, Stapel
Fundstellen
Haufe-Index 511876 |
JurBüro 2001, 150 |
ZAP 2001, 8 |
MDR 2000, 1453 |
NZBau 2001, 331 |
NJOZ 2002, 13 |
OLGR-BHS 2000, 281 |
www.judicialis.de 2000 |