Leitsatz (amtlich)
Der Mindestgeschäftswert von 200.000 EUR nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SpruchG gilt auch dann, wenn der Antrag auf Bestimmung der Abfindung für aussenstehende Aktionäre (§ 305 AktG) als unzulässig - weil unstatthaft - abgewiesen wird (hier: auf der Grundlage eines "verdeckten" Beherrschungsvertrages nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft, hilfsweise auf der Grundlage der qualifiziert faktischen Beherrschung/existenzvernichtenden bzw. existenzgefährdenden Nachteilszufügung).
Normenkette
SpruchG § 15 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Flensburg (Beschluss vom 16.09.2005; Aktenzeichen 6 O 139/03) |
Tenor
Die angefochtene Entscheidung wird geändert.
Der Geschäftswert für den ersten Rechtszug wird
a) hinsichtlich des Hauptantrags auf 200.000 EUR,
b) hinsichtlich des Hilfsantrags auf 200.000 EUR, mithin insgesamt auf 400.000 EUR festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Antragsteller sind Aktionäre der MC AG (im Folgenden MC), eines börsennotierten Unternehmens, das auf den Geschäftsfeldern Mobilfunk, Festnetz und Internet Telekommunikationsleistungen anbietet. Vorstandsvorsitzender der MC war bis zum 21.6.2002 S,... Er war außerdem mit ca. 60 % des Aktienkapitals an der MC beteiligt. Am 23.3.2000 schlossen die MC, S und die Antragsgegnerin einen notariell beurkundeten Kooperationsrahmenvertrag (Cooperation Framework Agreement - CFA). In diesem Vertrag kamen die Vertragsparteien überein, gemeinsam eine UMTS-Lizenz zu ersteigern und in Deutschland auf dem Gebiet der Festnetz- und Mobiltelekommunikation zu kooperieren. Die Antragsgegnerin sollte nach S zweitgrößter Aktionär der MC werden. In Abschnitt 4 des CFA wurde im Einzelnen eine Verwaltungs- und Leitungsstruktur von MC vereinbart. Insoweit ist zwischen den Beteiligten streitig, ob es sich um eine reine Vereinbarung zwischen den Aktionären S und der Antragsgegnerin handelt oder ob sich die MC vertraglich der Leitung durch die Antragsgegnerin unterworfen hat und damit das CAF einen Beherrschungsvertrag i.S.d. § 291 Abs. 1 AktG darstellt. Der Vertrag wurde nicht der Hauptversammlung der MC zur Beschlussfassung über die Zustimmung unterbreitet. Er wurde auch nicht in das Handelsregister eingetragen. Im November 2000 erwarb die Antragsgegnerin einen Aktienkapitalanteil von 28,3 % an der MC (18,6 Millionen Aktien zum Gesamtpreis von 3,72 Mrd. EUR), S hielt fortan einen Anteil von 40 %. Die Vertragsparteien nahmen die Kooperation auf. Im Herbst 2001 kam es zwischen der MC und S einerseits und der Antragsgegnerin andererseits zu Differenzen über das weitere Vorgehen in Verfolg des Kooperationsziels. Die Antragsgegnerin kündigte das CFA am 11.6.2002 und stellte die Finanzierung ein.
Die Antragsteller haben am 15.12.2003/12.5.2005 beim LG beantragt,
1. gem. § 305 AktG i.V.m. dem SpruchG die angemessene Barabfindung zugunsten der außenstehenden Aktionäre der MC auf Grund des mit der Antragsgegnerin am 23.3.2000 geschlossenen Beherrschungsvertrages festzusetzen,
2. hilfsweise, gemäß analog § 305 AktG i.V.m. dem SpruchG die angemessene Barabfindung zugunsten der außenstehenden Aktionäre der MC im Hinblick auf die qualifizierte faktische Beherrschung/-existenzvernichtende bzw. existenzgefährdende Nachteilszufügung zu Lasten der MC in der Zeit von März 2000 bis Januar 2003 festzusetzen,
3. weiter hilfsweise, das Verfahren auszusetzen bis zur rechtskräftigen Entscheidung des LG Kiel im Verfahren 14 O 195/03 über den am 1.7.2005 gestellten Klageantrag der Millenium GmbH auf Feststellung, dass zwischen der Antragsgegnerin und der MC in der Zeit vom 22.3.2000 bis zum 28.1.2003 ein qualifiziert faktischer Konzern bestanden hat, bzw. im Sinne der neueren Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 149, 10 eine existenzvernichtende bzw. existenzgefährdende Nachteilszufügung durch die Antragsgegnerin zu Lasten der MC in der vorgenannten Zeit stattgefunden hat.
Die Antragsteller bewerten die Untergrenze der Abfindung mit 200 EUR je Stückaktie.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge als unzulässig, jedenfalls als unbegründet abzuweisen.
Das LG hat die Anträge als unzulässig abgewiesen mit der Begründung, dass im Hinblick auf den Hauptantrag ein Beherrschungsvertrag nicht vorliege und im Hinblick auf den Hilfsantrag die internationale Zuständigkeit fehle. Im Übrigen sei dieser Antrag auch deshalb unzulässig, weil Ansprüche aus faktischer Beherrschung bzw. einer Ausfallhaftung wegen existenzvernichtenden/existenzgefährdenden Eingriffs nicht im Spruchverfahren geltend zu machen seien, sondern nach § 317 AktG im ordentlichen Zivilverfahren. Eine Aussetzung des Verfahrens komme aus diesen Gründen nicht in Betracht. Im Übrigen sei das Verfahren vor dem LG Kiel nicht vorgreiflich, weil es sich nicht um dieselben Parteien handele.
Das LG hat den Geschäftswert für den Hauptantrag nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SpruchG n.F. auf 7,5 Millionen EUR (Höchstwert) und für den Hilfsantrag nach § 18 Abs. 1 Satz 2 KostO n...