Leitsatz (amtlich)
1. Wenn ein 82-jähriger Patient nachts auf einer normalen Station aus dem Krankenbett fällt, handelt es sich nicht um den Fall des sog. „vollbeherrschbaren Risikos”. Wenn nicht sicher ist, dass die Schadensursache aus dem Gefahrenkreis der Klinik hervorgegangen ist, und wenn auch der Verantwortungsbereich des Patienten in Betracht kommt, greift die Entlastungspflicht der Behandlungsseite nicht ein.
2. Ohne die entsprechende Einwilligung des Patienten und ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Eigen- bzw. Fremdgefährdung verbietet sich (wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes der körperlichen Bewegungs- und Entschließungsfreiheit, Art. 2 GG) grundsätzlich die präventive Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (z.B. durch mechanische Vorrichtungen wie Bettgitter, Fixierung oder Medikamente).
3. In der medizinischen Praxis werden entspr. Sicherungsmaßnahmen gegen das Herausfallen aus dem Bett grundsätzlich nur dann angeordnet, wenn sich der Patient uneinsichtig zeigt und Anhaltspunkte für Bettflüchtigkeit bzw. der Gefahr einer Selbstverletzung bestehen.
Normenkette
BGB §§ 823, 831, 847 a.F.
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Aktenzeichen 7 O 73/01) |
Gründe
I. Der inzwischen 82-jährige Kläger beansprucht von dem Beklagten, Träger des Krankenhauses I., Schmerzensgeld (mindestens 30.000 DM) sowie im Wege der Teilklage materiellen Schadensersatz (5.000 DM von behaupteten 13.377,99 DM) wegen eines Vorfalls, der sich während eines stationären Aufenthalts in der Nacht vom 13.4. auf den 14.4.2000 ereignete.
Der Kläger wurde am 11.4.2000 auf Anraten seines Hausarztes wegen einer unklaren Erkrankung i.V.m. starken Rückenschmerzen und dem Verdacht auf eine krankhafte Veränderung der ableitenden Harnwege in das Krankenhaus des Beklagten eingeliefert. Wegen Verdachts auf Sepsis wurde er zunächst auf die Intensivstation gelegt, am Mittag des 12.4.2000 erfolgte die Verlegung auf eine „normale” innere Station des Krankenhauses.
Der Kläger hatte als Offizier im 2. Weltkrieg eine Granatsplitterverletzung erlitten. Laut Bescheid des Versorgungsamtes V. vom 12.10.1952 wurde ihm eine „schwere Granatsplitterverletzung der rechten Schädelhälfte mit Stecksplitter im rechten Schädelhirn und dadurch bedingte Krampfanfälle” bescheinigt. Aufgrund dieser Tatsache besitzt der Kläger einen Schwerbehindertenausweis und ist zu 70 % erwerbsgemindert.
Der Kläger behauptet, die Ärzte bzw. das Pflegepersonal hätten es schuldhaft unterlassen, Sicherungsmaßnahmen gegen das Herausfallen aus dem Bett anzuordnen bzw. vorzunehmen. Als Folge des Herausfallens sei der gesamte, zuvor sanierte Zahnapparat beschädigt worden, ferner habe er mehrere Rippenfrakturen sowie eine Gehirnerschütterung und zusätzlich – infolge des geschwächten Immunsystems – eine Herpeserkrankung erlitten.
Das LG hat mit Urt. v. 4.4.2002 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Unfall nicht von dem Beklagten bzw. seinen Mitarbeitern schuldhaft verursacht worden sei, sondern es sich vielmehr um die schicksalhafte Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos gehandelt habe. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil einschließlich der darin enthaltenen Verweisungen Bezug genommen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu verurteilen,
1. an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld (mindestens 30.000 DM) nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 11.11.2000 und
2. 2.556,46 Euro (5.000 DM) nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 11.11.2000 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst aller Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat im Termin vom 21.05.2003 die Zeugen Dr. P., Dr. L. und Dr. T. vernommen sowie den medizinischen Sachverständigen Herrn Prof. Dr. K. gehört.
II. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Ein Behandlungsfehler der behandelnden Ärzte bzw. des Pflegepersonals liegt nicht vor. Der Senat schließt sich insoweit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an, soweit sich aus der nachfolgenden Darstellung keine Abweichungen in der tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung des Geschehens ergeben.
Die Beurteilung der Frage, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler vorlag, der für die eingetretenen Schäden ursächlich geworden ist, erfolgt auf der Grundlage des vom Senat eingeholten mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. K. Dieser verfügt über eine langjährige Erfahrung als Facharzt für Innere Medizin, er war ca. 40 Jahre lang als Krankenhausarzt tätig, davon zuletzt 22 Jahre als Chefarzt der Inneren Abteilung des Diakonissenkrankenhauses Flensburg. Er hat die gesamten Behandlungsunterlagen vorab eingehend geprüft und ausgewertet und insoweit seine Aussage nach sorgfältiger Überprüfung der konkreten Situation und nach gewissenhafter Abwägung aller Umstände getroffen. Seine Ausführungen sind deshalb eine nachvollziehbare und zuverlässige Grun...