Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkung der Corona-Pandemie auf Mietzinsansprüche bei geminderten oder gar nicht gezahlten Mieten im Gewerbemietverhältnis im Jahr 2020
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 240 § 2 EGBGB (Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen in Zeiten der Corona-Pandemie) bewirkt keine Stundung des Mietzinses. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich in dem Gesetzesentwurf mit Drucksache 19/18110 ausgeführt, dass die Verpflichtung der Mieter zur Zahlung der Miete im Grundsatz bestehenbleibt. Statt eines gänzlichen Ausschlusses der Mietzahlungsverpflichtung oder einer Stundung wurde im Ergebnis nach Abwägung der wechselseitigen Interessen der für den Vermieter weniger intensive Eingriff des Ausschlusses des Kündigungsrechts gewählt.
2. Ob ein iSv § 536 BGB zur Minderung berechtigender Mangel der Gewerbemietsache bei behördlich angeordneter Schließung des Unternehmens wegen der Corona-Pandemie vorliegt, ist im Einzelfall zu prüfen. Es kommt darauf an, ob die Folgen des Lockdowns der im Rahmen von § 536 Abs. 1 S. 1 BGB maßgeblichen Risikosphäre des Vermieters zuordnen lassen. Hoheitliche Maßnahmen können - sofern nicht andere vertragliche Vereinbarungen bestehen - nur dann einen solchen Mangel begründen, wenn sie unmittelbar auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhten und ihre Ursachen nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters haben. Maßnahmen, die nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters beeinträchtigen, fallen allein in dessen Risikosphäre, so regelmäßig auch hinsichtlich der Coronafolgen.
3. Mietansprüche entfallen auch nicht gemäß §§ 326 Abs. 1 S. 1, 275 BGB, da die behördlich angeordnete Schließung grundsätzlich allein das Verwendungsrisiko (des Mieters) betrifft.
4. In Betracht kommt allenfalls ein Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB. Hierfür kommt es zum einen darauf an, ob die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie sich bewusst gemacht hätten, dass es für die Dauer eines Monats zu einer staatlich verordneten Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels kommen würde. Zum anderen muss dem Mieter das Festhalten am Vertrag in ursprünglicher Form unzumutbar geworden sein. Dass die erzwungene Schließung hier zu existenziell bedeutsamen Folgen für den Mieter geführt hat, ist von diesem darzulegen und zu beweisen.
Normenkette
BGB § 275 Abs. 1, § 313 Abs. 1, § 326 Abs. 1 S. 1, § 536 Abs. 1 S. 1; EGBGB Art. 240 § 2
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 10.11.2020, Az. 17 O 127/20, wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Lübeck ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Forderung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Gewerberaummiete für die Monate April, Mai und Juni 2020.
Sie ist seit 2013 Eigentümerin eines Hotelgebäudes, welches die Beklagte mit Vereinbarung vom 3. Dezember 2019 zum 1. Januar 2020 pachtete. Vereinbart wurde eine Pacht i.H.v. 18.980,50 EUR monatlich, die bis zum 25. des Vormonats zu entrichten war. Am 1. April 2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nicht in der Lage sei, die April-Miete zu bezahlen. Am 17. April 2020 zahlte die Beklagte die Hälfte der April-Miete. Die Beklagte entrichtete auch die Miete für den Monat Mai 2020 nicht, woraufhin die Klägerin sie mit Schreiben vom 4. Mai 2020 mahnte. Am 25. Juni 2020 überwies die Beklagte einen Teilbetrag in Höhe von 18.502,00 EUR, welche sie als Juli-Miete deklarierte.
Das Landgericht hat in seinem angefochtenen Urteil ausgeführt, dass die Beklagte einen Anspruch auf restliche Mietzinszahlung für die Monate April, Mai und Juni 2020 i.H.v. 47.451,25 EUR habe. Dieser Anspruch sei weder wegen eines Mangels noch aufgrund von Unmöglichkeit der Leistungserbringung durch den Vermieter noch nach den Grundsätzen der gestörten Geschäftsgrundlage ganz zu mindern oder anzupassen.
Nach § 536 Abs. 1 BGB sei der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder gemindert sei, von der Entrichtung der Miete befreit bzw. zu einer angemessenen Mietminderung berechtigt. Die staatlich verordnete Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels stelle keinen solchen Mangel der Mietsache dar. Ein solcher Mangel setze voraus, dass der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweiche. Im streitgegenständlichen Falle fehle es jedoch an Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache, sodass der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben nac...