Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von § 1028 Abs. 1 Satz 2, Halbs.2 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verjährung des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs aus einer Grunddienstbarkeit (hier Bebauungsverbot) führt hier dazu, dass die Dienstbarkeit nach § 1028 Abs. 1 Satz 2 BGB insgesamt erlischt.
2. Für den Umfang des Erlöschens eines eingetragenen Bauverbots nach § 1028 BGB ist nicht auf die vorhandene Bebauung abzustellen, sondern auf Art und Umfang der eingetragenen Grunddienstbarkeit.
3. Bei einem zugunsten des herrschenden Grundstücks eingetragenen Bebauungsverbot für das Nachbargrundstück kann aus § 1028 Abs. 1 Satz 2, Hs.2 BGB (... "soweit" die Bestandsanlage mit der Dienstbarkeit im Widerspruch steht) nicht gefolgert werden, das Erlöschen sei lediglich auf die Dimensionen des Bestandsbaus beschränkt. Bei einem eingetragenen Bauverbot gibt es nämlich (im Unterschied z.B. zu einem Wasserbezugsrecht oder Wegerecht) keinen abgrenzbaren Teil der eingetragenen Grunddienstbarkeit, der im Hinblick auf die Bebauung bei einer solchen Grunddienstbarkeit nicht zur Geltung kommen könnte
4. Wenn die Grundakte fehlt und für Auslegungszwecke nicht (mehr) zur Verfügung steht, kann der Zweck einer im Jahr 1889 eingetragenen Grunddienstbarkeit (hier Bebauungsverbot) nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden. Dies geht zu Lasten desjenigen, der sich auf einen bestimmten Zweck beruft (hier "Sicherung des freien Blicks nach Osten").
5. Das Beschwerderecht zur Wiederherstellung von zerstörten oder abhanden gekommenen Urkunden kann gegenüber dem Grundbuchamt nach § 14 Satz 2 GBWiederhV nur mit dem Ziel geltend gemacht werden, einen Widerspruch gegen den Inhalt des Grundbuchs einzutragen oder eine Löschung vorzunehmen.
Normenkette
BGB §§ 894, 1004, 1027, 1028 Abs. 1 S. 2 Hs. 2; GBWiederhV § 14 S. 2
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. April 2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte zu 7. wird verurteilt, die Löschung der zu seinen Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 6 in X (Grundbuch von X Blatt A1) in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeit zu bewilligen;
2. Die Beklagten zu 1. bis 6. werden verurteilt, die Löschung der zu ihren Gunsten als Eigentümer des Grundstücks Ystraße 8 in X (Beklagte zu 1.: Grundbuch von X Blatt A3, Beklagte zu 2. und 3.: Grundbuch von X Blatt A4, Beklagte zu 4. und 5.: Grundbuch von X Blatt A5 und Beklagter zu 6.: Grundbuch von X Blatt A6), in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs der Klägerin von X Blatt A2 eingetragenen Grunddienstbarkeit zu bewilligen;
3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
4. Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 185.000 EUR bezüglich der Hauptsache bzw. i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrag bezüglich der Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des gleichen Betrages leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Bewilligung der Löschung von Grunddienstbarkeiten.
Die Klägerin ist mit Eintragung in das Grundbuch am 13. Dezember 2016 Eigentümerin des Grundstücks Ystraße 10 in X geworden (Flurstücke ... Grundbuch von X Blatt A2, vgl. Grundbuchauszug vom 1. August 2019, Anlage K1, S. 5, Anlagenband Kläger). Zu Lasten des Grundstücks der Klägerin ist im Grundbuch in Abteilung II lfd. Nr. 1 folgende Grunddienstbarkeit eingetragen:
"Dieses Grundstück darf zugunsten der Eigentümer der Grundstücke Band Z Bl. xxx1 und xxx2 dieses Grundbuchs weder neben der an der Ystraße belegenen Villa nach Osten (Südost) überhaupt bebaut werden noch das vor derselben nach südwestlich liegende Terrain bis zur verlängerten rechten Straßen- respektive Bürgersteigfluchtlinie bebaut werden."
Bei dem Grundstück Grundbuch Band Z Blatt xxx1 handelt es sich um die Liegenschaft Ystraße 8. Hieran halten die Beklagten zu 1) bis 6) als Wohnungseigentümergemeinschaft in folgender Aufteilung Eigentum: Die Beklagte zu 1) ist Alleineigentümerin des im Grundbuch von X, Blatt A3, eingetragenen Wohnungseigentums (Erdgeschoss). Die Beklagten zu 2) und 3) sind Eigentümer je zur ideellen Hälfte des im Grundbuch von X, Blatt A4, eingetragenen Wohnungseigentums (1. Obergeschoss). Die Beklagten zu 4) und 5) sind Eigentümer je zur ideellen Hälfte des im Grundbuch von X, Blatt A5, eingetragenen Wohnungseigentums (2. Obergeschoss). Der Beklagte zu 6) ist alleiniger Eigentümer des im Grundbuch von X, Blatt A6, eingetragenen Wohnungseigentums (3. Obergeschoss/Dachgeschoss).
Bei dem Grundstück Band Z Blatt xxx2 handelt es sich um die Liegenschaft Ystraße 6, deren Eigentümer der Beklagte zu 7 ist. Bei der in der vorgenannten Eintragung bezeichneten "Villa" handelt es sich um die Li...