Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausübung eines Notwegerechts im Sinne von § 917 BGB bei mehreren denkbaren Notwegen

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einer Mehrheit von Störern besteht ein Unterlassungsanspruch gegen jeden denkbaren Störer unabhängig vom Tatbeitrag.

Bei einer Mehrheit von denkbaren Notwegen iSv § 917 BGB wird den Berechtigten nicht das Recht eingeräumt, einen für sie bequemen Wegverlauf zu wählen. Das Notwegerecht entsteht in seiner konkreten gesetzlichen Ausgestaltung mit dem Vorliegen von dessen Voraussetzungen.

Im Rahmen der Ausübung eines Notwegerechts ist der Verlauf zu wählen, der für den Duldungspflichtigen die geringstmögliche Belastung darstellt. Die Nutzung eines Weges als Weg durch Dritte ist dabei für die Grundstückseigentümer grundsätzlich nur mit geringen Belastungen verbunden.

 

Normenkette

BGB §§ 917, 1004 Abs. 1 S. 2

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 22.09.2022; Aktenzeichen V ZR 218/21)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin der 17. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 08.01.2021 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile gegen ihn zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leisten.

Der Gegenstandswert wird auf 80.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Wegerechte.

Die Kläger sind Miteigentümer eines Hausgrundstücks, das über eine Straße anfahrbar ist. Dieses Straßengrundstück, nachfolgend bezeichnet als Weg X, und weitere benachbarte Stichweggrundstücke wurden herrenlos. Wegen der Einzelheiten wird auf den Kartenausschnitt verwiesen.

Als die Herrenlosigkeit des Grundstücks bekannt wurde, eigneten sich weder die Gemeinde noch die Kläger das Weggrundstück X an. Im Jahr 2017 wurde Herr S als Eigentümer des Weggrundstücks eingetragen. Dieser veräußerte das Grundstück an den Beklagten und dessen Ehefrau gemäß Kaufvertrag vom 27.12.2018. Der Beklagte wandte sich mit einem Schreiben "im Auftrag der neuen Eigentümer" an die Anlieger und untersagte ihnen jegliche Nutzung ohne schriftliche Zustimmung. Später errichtete er Verbotsschilder und sperrte die Einmündungen des Wegs X in die Straße Z und des Wegs Y in die Straße H mit Betonringen ab. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren wurde der Beklagte verpflichtet, es zu unterlassen, die Wege zu versperren.

Mit ihrer Klage haben die Kläger vom Beklagten verlangt, es zu unterlassen, auf dem Flurstück Hindernisse zu errichten, die die Zufahrt erschweren.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß durch Versäumnisurteil verurteilt und dieses nach Einspruch des Beklagten aufrechterhalten. Ein Abwehranspruch der Kläger bestehe, weil sie durch Zufahrtsbeschränkungen an der ungestörten Ausübung des Besitzes an ihrem Grundstück gehindert seien. Der Beklagte sei verpflichtet, das Befahren und Betreten seines Grundstücks durch die Kläger zu dulden, denen ein Notwegerecht gemäß § 917 BGB zustehe. Die Garage auf dem klägerischen Grundstück könne nur über den Stichweg X angefahren werden. Die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen gehöre zur ordnungsgemäßen Grundstücksbenutzung. Die Zufahrt über die Straße Z und den Stichweg X stelle die kürzeste Verbindung zwischen einer öffentlichen Straße und dem klägerischen Grundstück dar. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr bestehe.

Der Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen seine Verurteilung. Er ist der Ansicht, dass der Unterlassungsanspruch nur gegenüber beiden Eigentümern des Weggrundstücks geltend gemacht werden könne.

Den Klägern stehe kein Notwegerecht über den Weg X von der Straße Z zu. Sie seien in der Lage, ihr Grundstück bereits zu Fuß über den westlich gelegenen Weg A und mit Pkw über den nördlichen Verbindungsweg Y und den Weg X zu erreichen. Die Festlegungen des Bebauungsplans der Gemeinde seien bedeutungslos. Der Bebauungsplan vom 07.07.1970 sei unwirksam, sodass er erneut am 15.12.2003 beschlossen und veröffentlicht worden sei. Die Strecke von der Straße Z durch Stichweg X sei nicht die kürzeste Verbindung zu einer öffentlichen Straße. Zu Unrecht werte das Landgericht die Straße Z als öffentlich und tatsächlich sei auch dieser Weg nicht öffentlich gewidmet. Es seien keine Gesichtspunkte erkennbar, unter denen der Eigentümer eines Grundstücks einem Notwegeberechtigten ein Recht zugestehen müsse, nach seinem Befinden eine bestimmte Wegefläche nutzen zu dürfen. Es fehle an der Wiederholungsgefahr. Denn er - der Beklagte - habe im einstweiligen Verfügungsverfahren den Anspruch anerkannt.

Die Kläger hätten sich bewusst und willentlich in ihre Notsituation gebracht. Sie hätten die öffentlich-rechtlichen ...

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