Entscheidungsstichwort (Thema)
Vaterschaftsanfechtung: Hemmung der Anfechtungsfrist bei widerrechtlicher Drohung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Fristablauf (Anfechtungsfrist der Vaterschaft) ist gehemmt, solange der Anfechtungsberechtigte widerrechtlich durch Drohung an der Anfechtung gehindert ist.
2. Eine Drohung ist die Erregung von Furcht durch ein künftiges Übel, auf das der Drohende Einfluss nehmen zu können behauptet.
3. Das AG hat die Hemmung der Frist des § 1600b Abs. 6 BGB im Wege des "Anbeweises" aufgrund der von der Klägerin vorgetragenen Umstände und ihrer Parteivernehmung zu Recht bejaht.
Normenkette
BGB § 1600b Abs. 1, 6 S. 1
Verfahrensgang
AG Gera (Aktenzeichen 3 F 335/07) |
Tenor
Dem Beklagten wird für die Rechtsverfolgung in der Berufungsinstanz Prozesskostenhilfe verweigert.
Gründe
I. Die Klägerin ist die am 13.5.1983 geborene Mutter des Kindes S. geboren am 22.2.2001. Der Beklagte, der kurzzeitig mit der Klägerin in nichtehelicher Lebensgemeinschaft gelebt hat, hat mit Zustimmung der Klägerin die Vaterschaft für das Kind S. am 1.3.2001 anerkannt. Die Klägerin hat ihre Zustimmung am 16.3.2001 und das Landratsamt Augsburg für das Kind am 28.3.2001 erklärt
Mit gerichtlichem Vergleich vom 26.5.2004 vor dem FamG Gera, Az. 1 F 503/03, haben sich die Parteien auf ein gemeinsames Sorgerecht für das am 22.2.2001 geborene Kind S. und auf die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Beklagten geeinigt. Seit dem 26.5.2004 lebt das Kind bei dem Beklagten in W..
Das am 22.2.2001 geborene Kind S. stammt nicht von dem Beklagten, sondern von dem Stiefvater der Klägerin, K. E., ab. In einem bei der Staatsanwaltschaft Augsburg anhängigen Verfahren gegen K. E. wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung, des sexuellen Missbrauchs und der Nötigung zum Geschlechtsverkehr zum Nachteil der Klägerin ergab ein in Auftrag gegebenes DNA - Gutachten des Prof. Dr. med. W. E. von der Rechtsmedizin der Universität München, dass Herr K. E. mit einem Wahrscheinlichkeitswert von 99,99999 % der biologische Vater des am 22.2.2001 geborenen Kindes S. ist. Damit ist praktisch erwiesen, dass der Beklagte nicht der biologische Vater von S. ist.
Die Klägerin hat vorgetragen, die zweijährige Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1 S. 1 BGB sei, obwohl zwischen der Geburt des Kindes, der Vaterschaftsanerkennung des Beklagten und der Klageeinreichung mehr als zwei Jahre verstrichen seien, gleichwohl durch Hemmung infolge andauernder widerrechtlicher Drohung i.S.d. § 1600b Abs. 6 S. 1 BGB gewahrt geblieben.
In dem Zeitraum August 1997 bis Juni 2004 habe der Stiefvater der Klägerin, K. E., mit der am 13.5.1983 geborenen Klägerin gegen deren Willen in weit über 100 Fällen den Geschlechtsverkehr vollzogen. Soweit sich die Klägerin geweigert habe, habe er die völlig eingeschüchterte Klägerin geschlagen und gedroht, die Klägerin in ein Heim zu stecken oder ihr, der Mutter und ihren Geschwistern weh zu tun, nach der Geburt von S. habe er der Klägerin gedroht, deren Tochter etwas anzutun, nach der Geburt des Sohnes der Klägerin habe er der Klägerin gedroht, deren beiden Kindern S. und T. etwas anzutun. So unter Druck gesetzt, habe die Klägerin in allen Fällen den Vollzug des Geschlechtsverkehrs mit dem Stiefvater geduldet und es aufgrund der permanenten Drohungen auch nicht gewagt, die Taten öffentlich zu machen.
Der Stiefvater habe sie in H. schon immer geschlagen, wenn sie sich geweigert habe, den Geschlechtsverkehr mit ihm auszuführen. In W., S. und Fr. sei sie von ihm nie körperlich misshandelt worden. Sie habe einfach nicht die Kraft aufgebracht, sich gegen ihn zu wehren, da sie seine Drohungen, ihrem Sohn oder ihrer Tochter etwas anzutun, sehr ernst genommen habe.
Nach alledem bestehe die hemmende Wirkung der widerrechtlichen Drohung seit mindestens vor der Geburt des Kindes S. im Jahre 2001 und reiche noch bis in die Gegenwart, so dass der Ablauf der zweijährigen Anfechtungsfrist nach wie vor gehemmt sei. Die zweijährige Anfechtungsfrist sei damit gewahrt.
Vorliegend habe zwar nicht der Beklagte, sondern der Zeuge K. E. der Klägerin gedroht, jedoch sei dieser Umstand rechtlich irrelevant, da es bei der Fristhemmung aufgrund Drohung naturgemäß nicht auf die Person des Drohenden ankommen könne, sondern auf die Person, der ein künftiges Übel in Aussicht gestellt werde und die damit für die Dauer der Drohung in eine entsprechende Zwangslage versetzt und sie dadurch an der Durchsetzung ihrer Rechte gehindert habe. Im Fall der Drohung sei es zudem auch gleichgültig, ob sich der angedrohte Nachteil unmittelbar auf den Bedrohten selbst oder auf eine andere Person, wie z.B. auf dessen Kinder beziehe.
Herr K. E. sei im Herbst 2004 und im Frühjahr 2005 zweimal rechtskräftig wegen Körperverletzung zum Nachteil der zwischenzeitlich geschiedenen P. E. vom AG Gera zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Am 12.6.2007 sei Herr K. E. wegen erneuter Körperverletzung zum Nachteil der P. R. (geschiedene E.) zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung,...