Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlende Mitwirkung des Kindes und der Kindesmutter an einem Abstammungsgutachten in einem Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Kindesmutter ist berechtigt, die Frage der Blutentnahme für ihren minderjährigen Sohn zu entscheiden.

2. Die der Weigerung zugrunde liegende Beweisanordnung ist - trotz der prinzipiellen Unanfechtbarkeit eine Beweisbeschlusses (§ 355 Abs. 2 ZPO) - angreifbar, weil sie in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf körperliche Unversehrtheit eingreift.

3. Im Hinblick auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit und den danach zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind nur solche Eingriffe zu unterlassen, die - unter Berücksichtigung des Verfahrensstandes - aus Rechtsgründen nicht erforderlich sind.

4. Der Schutz der Intimsphäre der Mutter tritt ggü. dem vorrangigen Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung zurück.

 

Normenkette

ZPO § 355 Abs. 2, §§ 372a, 387 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Jena (Aktenzeichen 44 F 653/05)

 

Tenor

Dem Beklagten wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren verweigert.

 

Gründe

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er der Vater des minderjährigen Beklagten, gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter, ist.

Das AG hat, nachdem dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, die Klageschrift mit Verfügung vom 23.11.2005 an den Beklagten zugestellt.

Durch Beweisbeschluss vom 31.1.2006 hat das AG zu der Frage, ob der Kläger als Vater des Beklagten auszuschließen ist oder welche Wahrscheinlichkeit für die Vaterschaft des Klägers spricht, die Einholung eines Abstammungsgutachtens angeordnet, in das die Parteien und die Kindesmutter einbezogen sind. Mit der Erstellung des Gutachtens wurde Frau Professor M., Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin der Friedrich-Schiller-Universität, Jena, beauftragt.

Mit Schriftsatz vom 10.2.2006 hat die Kindesmutter ggü. dem AG erklärt, dass sie für sich und ihr Kind die Mitwirkung an einem Blutgruppengutachten oder einem vergleichbaren Gutachten ablehne. Sie berufe sich zum Schutz ihres Kindes und ihrem eigenen Schutz darauf, auch allein entscheiden zu können, wer als Vater ihres Kindes festgestellt werde.

Auch wenn der Anspruch des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung anerkannt werde, so gelte dies nicht uneingeschränkt. Sie als Kindesmutter könne nicht dazu gezwungen werden, ihre Intimsphäre zur Zeit der Empfängnis offen zu legen, z.B. zu erklären, ob sie mit dem Kläger überhaupt und mit welchen anderen Männern sie geschlechtliche Beziehungen unterhalten habe. Sie habe bestritten, mit dem Kläger geschlechtliche Beziehungen unterhalten zu haben, die zur Geburt ihres Kindes geführt haben könnten.

Sie habe weder dem Kläger noch dem Gericht mitgeteilt, wie der Name ihres Kindes lautet, noch mitgeteilt, wann das Kind geboren wurde. Es sei nicht ersichtlich, woraus sich die Richtigkeit der Empfängniszeit überhaupt ergebe. Der Kläger habe in der Vergangenheit diese Unkenntnis sogar nicht einmal bestritten und auf Auskunft geklagt.

Die Gutachterin hat dem AG mit Schreiben vom 2.3.2006 mitgeteilt, dass dem Kläger eine Blutprobe entnommen wurde. Nachdem die Kindesmutter mit Schreiben vom 14.2.2006 aufgefordert worden sei, sich mit dem Institut in Verbindung zu setzen, um einen Blutabnahmetermin abzusprechen, habe deren Prozessbevollmächtigte telefonisch mitgeteilt, dass die Kindesmutter die Blutentnahme verweigere.

Das AG hat auf Antrag des Klägers mit Zwischenurteil vom 16.11.2006 für Recht erkannt, dass der Beklagte sowie die Kindesmutter verpflichtet sind, die Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung, insb. die Entnahme von Blutproben zum Zwecke der Blutgruppenuntersuchung zu dulden. Zur Begründung wird ausgeführt, über die Rechtmäßigkeit der Untersuchungsverweigerung der Kindesmutter sei gem. § 387 Abs. 1 ZPO durch Zwischenurteil zu entscheiden. Die Untersuchungsverweigerung sei für unrechtmäßig zu erklären. Der Kindesmutter stehe ein Recht zur Verweigerung der Untersuchung nach § 372a Abs. 1 ZPO nicht zu.

Die Untersuchungsanordnung sei gem. § 372a ZPO rechtmäßig, weil sie erforderlich und zumutbar sei. Erforderlich sei die Untersuchung, wenn die Feststellung der Abstammung der Person entscheidungserheblich und beweisbedürftig sei. Die Entscheidungserheblichkeit resultiere aus dem Antrag des Klägers. Für die Beweiserheblichkeit habe der Kläger einen Anfangsverdacht dargelegt.

Die Untersuchung sei dem Beklagten und der Kindesmutter auch zumutbar. Der Schutz der Intimsphäre der Mutter habe ggü. dem vorrangigen Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung zurückzutreten.

Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das angefochtene Zwischenurteil vom 16.11.2006 Bezug genommen (Bl. 37 ff. d A).

Gegen das am 23.11.2006 zugestellte Zwischenurteil hat der Beklagte mit einem am 7.12.2006 eingegangenen Schriftsatz Prozesskostenhilfe beantragt. Er beabsichtigt, nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe das Zwischenurteil des AG Jena mit der sofo...

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